Pfad:
Band Nr. 7

Volltext: Zentralblatt der Bauverwaltung (Public Domain) Ausgabe 1926 (Public Domain)

Nummer 7 
ZENTRALBLATT DER BAUVERWALTUNG 
77 
wissenschaftlichen Ausläufen mit Recht auch von dem Architekten 
gefordert werden müssen. Praktisch betrachtet darf jedoch folgen 
des nicht außer acht gelassen werden: Es gibt Bauleute, deren Vor 
stellungskreis sich vorwiegend in der schönen Form und solche, deren 
Denken sich vorwiegend im Konstruktiven und Rechnerischen be 
wegt. Eine vollständige Beherrschung beider Gebiete wird man nur 
\<:>n ganz seltenen Ausnahmemensdien erwarten können. Lionardo 
da Vinci war ein solcher Ausnahmemensch. Die gewöhnlichen Sterb 
lichen zuLionardo da Vincis erziehen zu wollen, dürfte ein vergebliches 
Beginnen sein. Wenn es uns nur gelingt, gute Gestalter auf der einen 
Seite und gewiegte Konstrukteure auf der andern auszubilden, wenn 
ferner dafür gesorgt wird, daß der gestaltende Kopf so weit in den 
Grundsätzen der Konstruktion unterrichtet ist, daß er im allgemeinen 
beurteilen kann, was sich machen läßt und was nicht, und wenn der 
rechnende Ingenieur erkennt, daß mit der Rechnung allein kein Bau 
werk entsteht, sondern daß unter allen Umständen die Formgestaltung 
mit der Rechnung Hand in Hand gehen muß, so ist alles getan, was> 
billigerweise verlangt werden kann. Bel umfassenden Bauaufgaben 
wird der architektonische Gestalter, auch wenn er auf der Schule 
bis zum Ueberdruß mit Mathematik gequält worden ist, sich hüten, 
ohne den Ingenieur zu arbeiten. Wenn wir es erst dahin gebracht 
haben werden, daß auch der Ingenieur bei umfassenden Ingenieur 
bauten dieselbe bescheidene Auffassung über sein Gestaltungs 
vermögen aufbringt, die der Architekt der Statik gegenüber zu haben 
pflegt, so wird für unsere Baukunst, auch soweit sie Ingenieur 
aufgaben umfaßt, aufs beste gesorgt sein. 
Die Unterrichtsweise in der Architekturabteilung der Tech 
nischen Hochschule litt vor allem bisher noch unter jener Ueber- 
belastung mit Nebenfächern, die schon hervorgehoben worden ist. 
Und zwar nicht nur mit wissenschaftlichen Nebenfächern, die dem 
Studierenden, wenn er sich ihnen im Ausmaße des Unterrichtsplanes 
widmen wollte, einen großen Teil seiner Zeit Wegnahmen, sondern 
selbst an zeichnerischen Nebenfächern. Semesterlange Vorträge und 
Uebungen über darstellende Geometrie, weitere semesterlange Be 
handlung der Perspektive und Schattenlehre sind ganz überflüssig. 
Die gotischen Steinmetzen haben die verwinkeltsten Durchdringungen 
gemeißelt, ohne darstellende Geometrie gehabt zu haben. Per 
spektive kann jeder aufgeweckte Architekturschüler in einem Vor 
mittag lernen und Schattenkonstruktion hat für den Architekten, der 
doch bauen soll, vollends keinen Zweck, jede Stunde Zeit, die daran 
verschwendet wird, ist zu bedauern. Dagegen wäre freie künst 
lerische Tätigkeit, wie sie auf der Kunstgcwerbeschule im Akt 
zeichnen und Modellieren, Skizzieren und Malen im Freien, künst 
lerischer Darstellung von Außen- und Innenansichten getrieben wird, 
eine sehr wünschenswerte Vervollkommnung des Studiums. 
Gerade im Studium des Architekten, wie es sich heute in 
Deutschland abspielt, ist ein wichtiger neuerer Grundsatz noch zu 
wenig beachtet: den Begabten freie Bahn zu gewähren. Entnimmt 
man den architektonischen Nachwuchs, der sich zur höchsten Spitze 
entwickeln soll, lediglich denjenigen Kreisen, die in der Lage sind, 
ihren Kindern den Besuch einer höheren Lehranstalt angedeihen zu 
lassen, so muß man sich darüber klar sein, daß zum mindesten neun 
Zehntel der im Volke zerstreuten Begabungen unbenutzt gelassen 
werden. Denn künstlerische Begabungen verleiht die Natur unab 
hängig vom Geldbeutel des Vaters. Maler und Bildhauer, Dichter 
und Musiker, Schauspieler und Sänger können auch aus der Schicht 
der breiten Volkskreise emporsteigen. Architekten konnten das bis 
heute nur insofern, als sie auf den Stempel, den die höchste Aus 
bildungsstelle verleiht, verzichteten. Denn diese höchste Ausbjl- 
dungsstelle ließ bisher nur solche Kreise zur abschließenden Haupt 
prüfung zu, die sich den Besuch einer höheren Schule leisten konnten. 
Daß auf der Technischen Hochschule außer den Studierenden auch 
Gastschüler geduldet werden, kann nicht als Lösung der Frage 
betrachtet werden. Jeder künstlerisch Begabte kann, wenn es sich 
um die Ausbildung ?um Künstler handelt, gleiches Recht bean 
spruchen, Heute, wo im Kampfe ums Dasein überall die Geistigkeit 
ausschlaggebend ist, muß es als höchster volkswirtschaftlicher Grund 
satz betrachtet werden, alle dem Volke von der Natur verliehenen 
Begabungen zu entwickeln und zur letzten Entfaltung zu bringen. 
Das ist ein einfaches Erfordernis der Oekonomie der Kräfte. Künst 
lerische Begabungen zu hemmen oder gar auszuschließen, wäre Ver 
geudung geistiger Hilfsquellen. 
Die Architektur als Gestalterin alles sichtbaren Menschenwerkes 
ist in ihrer großen Auswirkung die wichtigste der bildenden Künste, 
und deshalb sollten gerade hier alle Hilfsmittel der "Erziehung frucht 
bar gemacht werden, die erdenkbar sind — zum allermindesten aber 
die nicht einseitig beschränkt werden, die in unsern Architekten- 
unsbildungsstätten bereits zu Gebote stehen. 
Die Eisenbahnen Chinas. 
Nach längerem Widerstande ist auch China ein Eisenbahnland 
geworden, und zwar hat es sich für das S t aa t s bahnsystem ent 
schieden. Lange hatte es gedauert, bis sich die starr am Alten fcst- 
lialtende Bevölkerung des gewaltigen Reiches der Mitte von der 
wirtschaftlichen Notwendigkeit und den Segnungen der Eisenbahnen 
überzeugen ließ. Bei dem ersten, voh Fremden in die Hand ge 
nommenen Bau der Eisenbahn von Schanghai nach Wusutig (17 km) 
bedurfte es noch einer Täuschung der chinesischen Behörden, um 
das Ziel zu erreichen: die von britischen Firmen geleitete Eisenbahn- 
gesellschaft hatte nur die Konzession zu einer Wagenstraße erhalten, 
statt dieser aber heimlich in aller Eile eine Eisenbahn hcrgestellt. 
Als die Chinesen die Bahn nach Vollendung des Baues 1876 über 
nommen hatten, wurden nach einjährigem Betriebe, unter dem Druck 
der Bevölkerung, die Schienen wieder abgebrochen und außer 
Landes, nach Formosa gebracht, wo sie später zu Grunde gingen. 
Im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts wurden für die 
wichtigsten Eisenbahnlinien zahlreiche Konzessionen an ausländische 
Geschäftsleute und Syndikate vergeben und der Bau vieler Eisen 
bahnen in Angriff genommen, aber der Widerstand der Bevölkerung 
dagegen wuchs und steigerte sich schließlich zu der fremdenfeind 
lichen Bewegung, die in dem großen Boxeraufstand vom Jahre 1900 
zu blutigem Ausbruch kam. Der Aufstand zog schwere politische 
Folgen nach sich und führte insbesondere zu längerem Stillstand 
der Bauarbeiten auf fast allen begonnenen Bahnlinien. Seitdem 
machte sich in China Immer mehr das Bestreben geltend, die Haupt 
bahnen des Landes selbst zu bauen, die von Fremden bisher ge 
bauten Linien in eigene Verwaltung zu nehmen, dem Ausländer jede 
weitere Konzession zu versagen, Ihn überall möglichst durch Eiir- 
geborene zu ersetzen, das gute Geschäft dabei selbst zu machen 
"der dem Ausländer doch durch eigene Unternehmungen scharfen 
Wettbewerb zu bereiten. Die große wirtschaftliche Ueberlegenheit 
des Eisenbahnbetriebes hatte man mittlerweile erkannt und wollte 
wieder Herr im eigenen Lande werden, das durch die fremden Ein 
dringlinge immer mehr unter die Botmäßigkeit des Auslandes zu 
traten drohte. Obgleich das große Reich einen umfassenden und 
dringenden Bedarf an Eisenbahnen hatte, machte der Eisenbahnbau 
doch nur äußerst langsame Fortschritte, weil es den Chinesen an 
oiscnem Kapital mangelte und das fremde Kapital sich teils unfähig 
orwies, teils ablehnte, hierbei helfend und fördernd einzugreifen. 
Die kaiserliche Verordnung vom 9. März 1911 hatte den Grund 
satz verkündet, daß die Haupteisenbahnen im Lande dem Staat 
gehören sollten; alle Hauptlinien, für die sich bis dahin in den ver-r 
'whiedenen Provinzen Gesellschaften gebildet hatten, sollten nun 
mehr von der Regierung übernommen und alle für Hauptbahnen bis 
her erteilten Konzessionen zurückgezogen werden. Damit war für 
China der Staatsbahngedanke maßgebend geworden, und 
er ist seitdem auch für die neugeblldete Republik geblieben. Wir 
haben es dementsprechend im heutigen China im wesentlichen mit 
Staatsbahnen zu tun, unbeschadet einzelner früher gegründeter, 
großer P r i v a t Unternehmungen, die fast ganz unter ausländischem 
Einfluß (Rußland, Japan, Frankreich) stehen. Einige kleinere Bahnen, 
die mehr örtlichen Bedürfnissen dienen, sind Provinzbahnen, und 
außer diesen besteht noch eine Anzahl privater Zechen- und Gruben 
bahnen, die als Neben- oder Kleinbahnen anzusprechen sind. Das 
Eisenbahnnetz beschränkt sich bis jetzt im wesentlichen auf Nord- 
c h I n a, d. h. das Land nördlich des Jangtsestromes, das vorwie 
gend flach und arm an Wasserstraßen ist und daher dem Bahnbau 
weniger Hindernisse in den, Weg legt. DerNoiden enthält auch mehr 
Bodenschätze, die zu bergbaulichen Unternehmungen Anreiz bieten, 
die Bevölkerung ist weniger fremdenfeindlich als im Süden, und der 
Norden wird daher auch mehr von Fremden aufgesucht. Der Norden 
hat um so mehr Bedürfnis an leistungsfähigen’ Verkehrsstraßen, als 
die bestehenden schlechten Wege und die veralteten Beförderungs 
mittel, wie Tragstange, Reittier, Karren, Einradkarre usw. für die 
heutigen Ansprüche völlig unzureichend geworden sind. Im Süden 
des Jangtse ist man dagegen über vereinzelte, weit voneinander 
getrennt liegende, kurze Stichbahnen, die von den wichtigsten Häfen 
und Küstenplätzen aus ins Innere des Landes Vordringen, kaum hin 
ausgekommen; von einem zusammenhängenden Bahnnetz kann man 
hier noch nicht sprechen. 
Die Hauptbahnen haben überwiegend die europäische Vollspur, 
1,435 m; eine wichtige Ausnahme bildet die chinesische Ostbahn, die 
als östliche Verlängerung der großen Sibirischen Eisenbahn auch 
deren Spurweite, die breitere russische Spur von 1,524 m auf 
weist. Einige private Grubenbahnen sind schmalspurig (1 m Spur). 
I, Die wichtigsten Staatsbahnen. 
a) Nördlich des Jangtse. 
1, Die drei großen, von der Reichshauptstadt Peking aus- 
strahlenden Linien nach Süden Peking—Hankau, nach Nordosten 
Peking—Mukden, nach Westen Peking—Suiyuan—Paotou, bilden das 
Rückgrat des Staatsbahnnetzes. Die Linie Peking —Hankau, 
von den Belgiern erbaut und 1905 vollendet, endet mit 1214,5 km 
Gesamtlänge nördlich des Jangtse; bemerkenswert wegen der 
Schwierigkeit der Ausführung ist die große Brücke über den Hoangho,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.