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Centralblatt der Bauverwaltung.
INHALT: Bericht der Sachverständigen über den Münchens teiuer Brücken-Einsturz. — Aus dem ReiababansliftU für 1632/93.
[Alle Hechte Vorbehalten.]
Bericht der Sachverständigen über den Mönchensteiner Briicken-Einsturz.
DeT Bericht der vom schweizerischen Bundesrathe mit Aufsuchung
der Ursachen des Einsturzes der Brücke hei Mönchenstein beauftragten
Fachmänner, der Herren. Prof. Ritter und Tetmajer, ist kürzlich
erschienen und in einer allerdings vorläufig noch beschränkten Anzahl
von Exemplaren in die Oeffentlichkeit gelangt. Er bildet ein Quart
heft mit 17 Seiten Text, in den 26 erläuternde Abbildungen ein
gefügt sind, und mit 12 Tafeln, auf welchen die ursprünglich
geplante und die wirklich ausgeführte Brücke vor dem Einsturz und
nach demselben sowie die Ergebnisse der statischen Untersuchung
dargestellt werden. Wir können hier die nach unsrer Ansicht für
solche Berichte mustergültige Arbeit nicht eingehender würdigen;
von dem in knappster Form gehaltenen und doch so reichen und
erschöpfenden Inhalt kann nur das Studium des Berichtes selbst
(der binnen kurzem in ganz wenig geänderter Form im Buchhandel
erhältlich sein wird) und namentlich der beigegebenen Abbildungen
und Tafeln, die dem Fachmanne alles das sagen, was nicht mit
Worten ausgedrückt oder doch nur angedeutet werden kann, den
richtigen Begriff geben. Wir müssen uns hier darauf beschränken,
kurz die hauptsächlichsten Ergebnisse, zu welchen die Gutachter ge
langt sind, zusammenzufassen. Ferner möchten wir den Leser er
suchen, sich das in den Nummern 26 und 27 des laufenden Jahrganges
des Centralblattes der Bauverwaltung über den Mönchensteiner
Briicken-Einsturz Gesagte wieder ins Gedächtnifs zu rafen, da wir
auf das Ereignifs selbst nicht mehr eingehen werden; auch wird die
Betrachtung der damals beigegebenen Abbildungen das Verständnis
des zu Sagenden wesentlich erleichtern.
Aus der Beschreibung der Brücke vor dem Einsturz
heben wir hervor, dafs die Firma Eiffel, als Unternehmerin, gestützt
auf einen Vertragsparagraphen, der ihr einen wesentlichen Antheil
an den zu machenden Gewichtserspamissen zuwies, den von der
Jura-Bem-Luzern-Bahn aufgestellten und vom Schweiz. Bundesrathc
genehmigten Entwurf, welcher einen Parabelträger voraussetzte, voll
ständig umgestaltete und durch das bekannte Ureiecksfachwerk mit
Zwischenverticalen ersetzte. Dasselbe gelangte dann auch, aber ohne
dafs dazu die bttndesräthliche Genehmigung neuerdings eingeholt
worden wäre, mit einigen von Bridel, dem Oberingenieur der Bahn-
gesellschaft, verlangten Abänderungen zur Ausführung.
Die statische Berechnung der HauptträgeT geschah unter
Zugrundelegung einer beweglichen Belastung von 4,5 t/m, einer Eigen
last von 1,2 t/m und einem Oberbaugewicht von 0,4 t/m.
Die Quer- und Schwellenträger wurden für dreiachsige Tender-
locomotiven mit.Achsdrücken von 13, 12,5 und 12t und Achs-Ent
fernungen von 1,5 und 1,8 m berechnet Als Mhfs der zulässigen
Beanspruchung des Eisens auf Zug, Druck und Biegung waren
6 kg/qmm angenommen, wobei, wie es in Frankreich üblich gewesen,
die Nietlöcher nicht in Abzug gebracht wurden. Die Inanspruch
nahme des Nieteisens durfte 5 kg/qmm nicht überschreiten. Die Vor
schriften über die Materialgüte waren sehr dürftiger Natur; es wurde
in Art 4 des Pflichtenheftes einfach gutes Schweifseisen mit min
destens 32 kg/qmm Zugfestigkeit bei einer Streckgrenze von min
destens 15 kg/qmm verlangt.
Aus der Beschreibung und Beurtheilung des Eiffel-
schen Birsüberbaues heben wir folgendes heraus. Nach Mit
theilung der Haupt-Gröfsenverhältnisse — lichte Weite 41 m, lichte
Breite 4,28 m, lichte Höhe 4,66 m, Träger höhe 6,2 m, Facblange
(doppelte Querträgerentfemung) 7 m — werden die Mängel der Brücke
aufgezählt, wie sie im wesentlichen schon kurz nach Einsturz der
selben von verschiedenen Technikern gerügt worden sind. Die Form
der Gurtquerschnitte ist zweckmäßig. Weniger befriedigt die Stärke,
welche die Stehbleche erhalten haben. Mit Rücksicht auf die Art
der Befestigung der Füllungsglieder (sie greifen nicht über die Gurt
winkel hinweg) und auf die geringe Querfestigkeit der als Flach
oder Universaleisen packetirten und gewalzten Stehbleche mufs eine
Stärke von 1 cm als zu klein bezeichnet werden. Die Stehbleche der
Obergurte hätten überdies zwischen den Knoten mit Saumwinkeln
versteift werden sollen. Auch die zahlreichen, an den Knotenpunkten
angehäuften, 2,4 cm weiten Nietlöcher erwecken Bedenken. Zu tadeln
ist ferner die constructivö Durchbildung der Knotenpunkte. Die
Streben sind an den Gurtungen excentrisch befestigt; ihre Achsen
schneiden sich nicht auf der Schwerlinie der Gurtungen, sondern um
21,5 bis 25,6 cm über bezw. unter denselben. Durch diese Anordnung
werden erhebliche, völlig unnothige Zusatzspannungen bedingt, welche
bei der Bemessung der Querschnitte gänzlich unberücksichtigt blieben.
Eine, wie die Erfahrung lehrte, recht wirksame Versteifung erfuhren
die Knotenpunkte an den Untergnrten durch die auf Anordnung
des Herrn Oberingenieur Bridel auf die Köpfe der Querträger-
Winkelciseu auf genieteten, trapezförmigen Anschlüßbleche, deren
Saumwinkel aufwärts abgebogen und an die anstoßenden Streben
genietet wurden.
Bei den Quer- und Schwellenträgern werden die unbedingt zu
schwachen Stehbleche gerügt. Bezüglich der Windversteifung ist
namentlich das Fehlen einer genügenden Absteifung der Endrahmen
der Brücke hervorgehoben. Die Uebertragung der oberen Wind
kräfte auf die Widerlager besorgen hauptsächlich die Endatreben,
deren Form hierzu nicht besonders geeignet erscheint. Die Auf
lager waren ursprünglich gewöhnliche Gleitflächenauflager in Guß
eisen (was bei der vorhandenen Spannweite unzulässig erscheint).
Erst im Jahre 1885 wurden auf der Mönchensteiner Seite Rollenlager
beigefügt. Die Ausführung der Eisenarbeit wird als eine mittel
gute bezeichnet.
Die Ausbessetnngs- und Verstärkungsarbeiten aus
den Jahren 1881 und 1890. Anläfslich der Hochwasser im Sep
tember 1881 kippte infolge Unterspülung die obere flußaufwärts ge
legene Hälfte des linksseitigen Widerlagers um, der rechtsseitige
Hauptträger verlor sein Auflager, die nur noch auf drei Punkten,
ruhende Brücke wurde windschief und das frei schwebende Brücken-
Ende senkte sich, nach Angabe des damaligen eidgen. Control-In
genieurs, Herrn Züblin, um 75 cm, nach Angabe des Bahningenieurs,
Herrn Bieri, um 40 cm. Nach letzterem ergab die Untersuchung
nach deT schon am folgenden Tag erfolgten Hebung des Brucken-
Endes in seine frühere Lage, daß 1) bleibende Formänderungen nicht
wahrgenommen wurden, 2) über zwei symmetrisch gelegenen Knoten
punkten (dem zweiten, vom rechtsseitigen Widerlager aus, der flufs-
aufwärts gelegenen Tragwand und dem zweiten, vom linksseitigen
Widerlager aus, derflufsabwärts gelegenen Tragwand) hatte jede der
Druckstreben kleine Anrisse bis zum Rand des Nietlocbes (in dem
die übers Kreuz gestellten Blechstreifen verbindenden Winkeleisen),
und waren die erwähnten wagerechten Verstärkungsbleche ausgebogen,
3) an losen und beschädigten Nieten wurden 40 Stück angetroffen.
„Unmittelbar nach Hebung der Brücke wurden auf die Risse der
beiden beschädigten Streben entsprechende Laschen aufgenietet,
die Bleche und Winkel der wagerechten Verstärkungen durch neue
ersetzt, sämtliche losen Nietverbindungen neu hergestellt und
die Brücke schliefslich mit einem neuen Anstrich versehen.“ Am
19. September wurde die Brücke wieder dem Verkehr übergeben; die
am 22. und 23. desselben Monats ausgeführten Probebelastungen
mit zwei der schwersten Maschinen der Gesellschaft ergaben größte
Einsenkungen von 2 cm und seitliche Ausweichungen der Obergurte
von 0,7 bis 0,75 cm. Das zerstörte Widerlager wurde im Frühjahr
1882 mit Luftdruckgründung neu hergestellt.
Anläfslich der Einführung der Güterzugmaschinen Form C 3 T
mit 14,71 Achsdruck wurde auf Veranlassung des schweizerischen
Eisenbahndepartements im Frühjahr 1889 von der Bahngesellschaft
durch ihre eigenen Beamten eine Nachrechnung der Brücken vor
genommen, wobei 16 derselben als in einzelnen Theilen einer Ver
stärkung bedürftig erkannt wurden. Gleichzeitig hatte die Bahn-
gesellschaft die Brückenbauanstalt von Probst, Wolf u. Chappnis
in Bern ebenfalls mit Vornahme der statischen Berechnungen und
Ausführung der nothwendigen Verstärkungen beauftragt. Bezüglich
der Mönchensteiner Brücke wurde von dieser Firma nur die Ver
stärkung der Querträger und bessere Verbindung der Schwellenträger
mit jenen als nothwendig befunden. „Lea poutres principales n'ont
pas besoin d’etre reuforc6es% lautete das Urtheil bezüglich der
Haupttragwände, die nachzurechnen nicht für nöthig befunden wurde.
„Die ausgefiihrten Arbeiten sind, insofern sie zur Verstärkung der
Querträger und zur sichern Befestigung der Schwellenträger dienen
sollten, zweckentsprechend. Selbstverständlich wurde hierdurch die
Tragfähigkeit der übrigen Brückentheile, vor allem der Tragwände,
in keiner Weise beeinflufst. Die Ausführung ist eine zufrieden
stellende.“
Der Beschreibung der Brücke nach dem Einsturz ent
nehmen wir, dafs die Geschwindigkeit, mit welcher der Zug auf die
Brücke auffuhr, 36 bis 40 km betrug; der letzte Stich der Nadel am
Haushälterscheu Registrirapparat stand auf 41 km. Etwa 400 m
vor der Brücke wurde die Westinghouse-Bremse leicht angezogen;
auf der Brücke selbst sei nicht weiter gebremst worden. — Die
Möglichkeit einer Entgleisung wird vom Lccomotivpersonal mit Ent
schiedenheit in Abrede gestellt. „Frey, der Heizer der Vorspaan-
locomotive, drückt sich wie folgt ans: Wir fuhren bis zum Krache
glatt wie auf Federn; bis dahin kam die Maschine nicht von den
Schienen. Eichberger, der Heuser der zweiten LoComotive, sagt:
Die Maschine ist auf den Schienen gewesen, als sie hinunterfiel.“ —
Die Untersuchung der Locomoüven und Schwellen bestätigte diese
Angaben. Wiederholte Untersuchungen der enteren ergaben, daß
dieselbe! dem Einsturz verhältnismäßig wenig Beschädigungen er