386
Centralblatt der Bauverwaltung.
3. Ortober 1891.
Irgend jemand in Königsberg, sei es nun der Archivar Faber 2 )
oder der Professor Hagen oder sonst jemand hat in der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts zuerst die Vermutbung ausgesprochen, dafs der
stattliche Bau an der Südostecke unseres Schlosses keinen geringeren
Urheber habe als den grofsen Schlüter. Ohne dafs man weitere
Anhaltspunkte hatte, schienen der Stil und die Zeit der Entstehung
keine Schwierigkeiten zu bereiten, und es ist nur zu natürlich, dafs
es der Liebe der Königsberger zu ihrer Vaterstadt gefallen mußte,
dafs dieselbe von dem Genius des berühmten Baukünstlers be
schienen sein sollte. Die Vermuthung wurde daher ohne weiteres
als feststehende Thatsache angenommen und als solche immer und
immer wiederholt, ohne dafs jemand daran gedacht hätte, sie auf
ihre Richtigkeit zu prüfen. Erst dem Architekten Walle in Berlin
stiefsen Bedenken auf, als er in Verfolg einer Abhandlung des in
zwischen verstorbenen Scblofsbauinspectors Kuttig s ) sich näher mit
der Frage beschäftigte; aber so scharfsinnig und beachtenswerth
seine Darlegungen genannt werden müssen, so konnte er doch infolge
des ihm zur Verfügung stehenden, unzulänglichen Materials nicht
das Richtige treffen. 4 ) Ebenso vermochte die Regierung in Königs
berg ihren Zweifeln nur dadurch Ausdruck zu geben, dafs sie in
ihrem Anträge auf Bewilligung der erforderlichen Geldmittel den
Ausdruck „der sogenannte Schlüterhau“ anwendete. Thatsächlich
aber kann von einer Thätigkeit Schlüters mH irgend welcher Be
rechtigung hier nicht gesprochen werden; auch Eosauder v. Göthe, dem
Wall6 einige Betheiligung zu weisen mochte, kommt nicht in Frage,
sondern Schultheifs v. Unfried, den man bisher nur als ausführen
den Baumeister gelten lassen wollte, kann nach allem, was sich er
mitteln läßt, allein das Verdienst der Urheberschaft zuerkannt werden.
Bevor ich dazu übeTgehe, dies näher zu begründen und Leben
und Bedeutung dieses Mannes ausführlicher zu schildern, sei es mir
gestattet, eine Uebereicht, wenn auch nur in kurzen Worten ß), über
das Gesamtschlofs zu geben, um so das Nachfolgende verständlicher
zu machen. Auf einem Hügel, deT sich in der Höbe von etwa 12 m
längs des Prcgelflusses dahinzieht, erhebt sich das Schloff? in einem
Viereck, dessen Länge etwa 104 und dessen Breite etwa 67 m be
tragt; aber nicht ein harmonisch geschlossenes, einheitliches Ganze
ist dieser mächtige Bau, eine Musterkarte vielmehr der verschiedenen
Stile der christlichen Zeitepoche ist er mit einigem Recht genannt
worden, indem sich Gothik und Renaissance, Barock und Klassi-
cismus, fränkischer und niederdeutscher, holländischer und italieni
scher Einflufs hier in sichtbarer Weise begegnen. Ursprünglich
handelte es sich um ein Comthurhaus des Deutsch-Ritterordens,
welches nur die westliche Hälfte der jetzigen Grundfläche einge
nommen haben mag. 0 ) Bald aber wurde hierher der gitz des Land
marschalls verlegt, sodafs die vorhandenen Räume nicht mehr aus
reichten und nach Osten hin ausgedehnt werden mufsten. Nachdem
im Jahre 1457 auch der Hochmeister hierher übergesiedelt war, ent
stand 1525 aus dem Ordensland Preufsen ein weltliches hohen-
zollerisches Herzogthum. Im 17. Jahrhundert ward dasselbe mit Kur
brandenburg vereint, für dessen deutsche Bestrebungen diese östliche
Besitzung von der gröfsten Bedeutung wurde. Unser Scblofs ward
somit in neuerer Zeit nacheinander herzoglich, kurfürstlich, königlich,
und in all diesen verschiedenen Abschnitten erfuhr cs, wie in den
vorher genannten, kennzeichnende Aenderungen. Von dem Nord
flügel, der heute den Zwecken mehrerer Behörden und Sammlungen
dient, erinnert der westliche Theil mit seinen Stern- und Kreuz
gewölben noch ganz an die Ritterzeit, während der östliche einem
nüchternen Zeitabschnitt, dem Anfang unseres Jahrhunderts angehört.
Dagegen führt uns der an der Nordostecke belegene siebeneckige
Thurm wieder auf das Mittelalter zurück. An ihn Bchliefst sich ein
Bau aus der ersten Zeit des Herzogs Albrecbt (1532), in seinem
Innern in der Holzbekleiduug der Wände in dem Geburtszimmer
König Friedrichs I. und des Prinzen Albrecht, Bruders des Kaisers
Wilhelm I., ein wahres Juwel deutscher Frührenaissance bergend und
in seinen südlichen Theilen während der kurfürstlichen Herrschaft
umgestaltet. Die Südostecke bildet sodann der sog. Schlüterbau, der
8 ) Faber, die Haupt- und Residenzstadt Königsberg i, Pr., 1840.
a ) Der lehrreiche Aufsatz ist abgedruckt in der Altpreufsischen
Monatsschrift 1884 Seite 173—187 (und im Wochenblatt für Archi
tekten und Ingenieure, Jahrgang 1882).
4 ) Wochenblatt für Baukunde 1885, Nr. 5 und Nr. 89.
&) Eine ausführliche Schilderung würde der Inventarisirungs-
arbeit vorgreifen, mit der Herr Architekt Adolf Bötticher seitens
der ostpreufsischen Provincialstände betraut worden ist, und der man
mit Freude und Spannung entgegensehen darf.
c ) Ich verweise, ohne in allen Punkten einverstanden zu sein,
auf Beckherrn, Geschichte der Befestigungen Königsbergs. Alt-
preufsische Monatsschrift 1890, S. 385 u. 63$; Becfeherm u. Grabe,
Geschichte der alten Befestigungen Königsbergs, Sitzungsberichte der
Alterthumsgesellschaft Prussia, Königsberg 1890, S. 11. — Vgl. ferner
Steinbrecht, Preufsen zur Zeit der Landmeister 1888, S. 112.
sich gebietend über die übrigen Theile heraushebt und auf den wir
sogleich zurückkommen werden. Auf der Südseite erblicken wir
einen Bau des Herzogs Albrecht von 1551 mit Resten aus dem 13. 7 )
und 14. Jahrhundert, der nach Westen zu durch den 75 m hohen,
schön gegliederten, gothischen Ziegel-Thurm abgeschlossen ist. Die
Westseite, unter Benutzung mittelalterlicher Reste während der acht
ziger Jahre des 16. Jahrhunderts von dem fränkischen Markgrafen
Georg Friedrich ei-baut, 8 ) wird rechts und links von zwei herauB-
springenden, an die Nürnberger Befestigungskunst erinnernden Rund
thürmen flankirt, von denen der eine von der Königin Luise während
der napoleoniechen Unglückszeit als Wohnraura benutzt ward, 9 ) und
dient in seinem Innern gar mannigfachen Bestimmungen; ein alter
Königsberger Scherz, der zu drei Fünfteln noch heute Gültigkeit hat,
besagt deswegen: hier wohnen fünf verschiedene Götter übereinander,
im Keller wegen der Weinvorräthe Bacchus, zu ebener Erde (in
gleicher Linie mit der Thordurchfahrt) Mars wegen des dort früher
aufgestellten Artillerieparks, darüber Jupiter, denn hier war und ist
die Schlofskircbe, über dieser Venus, weil der über der ganzen
Kirche sich hinziehende Saal (mit seiner Grundfläche von 1242 qm
einer der gröfsten Deutschlands) Hoffestlichkeiten aller Art gewidmet
ist, und endlich unter dem Dach Ceres wegen der daselbst lagernden
Getreide-Vorräthe. In der Kirche wurden während des vorigen Jahr
hunderts wichtige Aenderungen vorgenommen, und auch nicht un
erwähnt darf die sehr glückliche Erneuerung bleiben, die dem Saale,
dem sog. Moskowitersaal, in den letzten Jahren zu Theil ward.
Kehren wir nun zu der Südostecke zurück, zu demjenigen Theile
des Baues, der die meiste Beachtung zu erregen pflegt, und in dem
die Mitglieder unseres Herrscherhauses, wenn sie in Königsberg Hof
halten, ihre Wohnung nehmen. Bis zu der Zeit, wo er in seiner
heutigen Gestalt erstand, trug er genau das Gepräge, welches noch
heute der unmittelbar nördlich anstofsende Theil, also die Nordost-
ecke des Schlosses hat; es waren einfache mächtige Mauermassen,
die durchaus an die frühere kriegerische Bestimmung des Gebäudes
erinnerten und durch einen viereckigen Thurm eine lebendigere
Gliederung erhielten. 10 ) Der gröfseren Bedeutung nun, die das
brandenburgiscb-preufsischc Staatswesen unteT dem Grofsen Kur
fürsten errang, wie der höheren Glanz- und Prachtentfaltung, die
sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts an den deutschen Fürstenhöfen
einbürgerte, vermochten die alten, kleinen, mehr behaglichen als
prunkvollen Gemächer nicht mehr zu entsprechen, und vollends in
dem künstlerischen Sinne eines Friedrich III. mufste bald beim An
blick des alten Gemäuers der Gedanke an einen umfassenden Neu
bau erwachen. Bereits zu Beginn hegte er die Absicht, bedeutende
Aenderungen vorzunehmen, nachdem die Schadhaftigkeit mancher
Theile schon seinen Vater zu solchen veranlafst hatte. Nach dem
Entwürfe des Baumeisters Melckstock und des Bauschreibers Kühne
waren zehntausend Thaler, eine für damalige Verhältnisse sehr
beträchtliche Summe, erforderlich. Indessen erheischten derzeitige
andere nöthigere Ausgaben die Verschiebung des beabsichtigten
Baues (Cabinetsbefehl vom 14./24. April 1691 ll ). Im Jahre 1704 war
dann endlich die Zeit gekommen, wo die durch die inzwischen in
Königsberg erfolgte Königskrönung nur noch dringender gewordenen
Plane wieder aufgenommen werden konnten; am 21. Mai wurde eine
jährliche Bausumme von 6000 Thalern für diesen Zweck bewilligt,
“) Nach einem Vortrage, den Herr Archivar Dr. Panzer am
13. April d. J, im Verein für Geschichte von Ost- und Westpreufsen
gehalten hat, und der demnächst in der Altpreufsischen Monatsschrift
wiedergegeben werden soll.
8 ) Die Baumeister waren Blasius Berwart und Hans Wißmar,
von denen der erstere auch als Steinmetz auf den hohenzüllerischen
Besitzungen in Onolzbach in Franken nachweisbar ist.
'») In den an den anderen, den südlichen Thurm anstoßenden
Raumen finden sich höchst beachtenswerthe, leider übertünchte
Peckenverzierungen.
10 ) Die Angabe, dafs ein runder Thurm hier gestanden, beruht
auf einem Irrthum. Vgl. den Königsberger Stadtplan von Joachim
Bering aus dem Jahre 1613, Königsberg, Staatsarchiv, Pläne Nr. 665
(in mäfaiger Nachbildung neugedruckt, Königsberg 1855) und den
Bauplan aus dem Anfang deB vorigen Jahrhunderts, ebenda Nr. 456.
— Ferner Merian, Topograpbia electoratus Brandenburgici usw.,
Frankfurt a. M. 1652 (die hier gegebene Ansicht von Königsberg ist
zweifellos mit der Beringschen Arbeit verwandt).
1! ) Derselbe lautet wörtlich: „Wir haben aus Euerm gehor
samsten Bericht vom 7./17. August vorigen Jahres und dessen Bei
lagen ersehen, was Ihr wegen der bei unserer dortigen Residentz
und am Friedrichs-Hofe vorhabenden Enderüug ( und neuen Gebäude
erinnern wollen. Aldieweilen wir aber jetzo mit vielen andern Aus
gaben gar sehr überhäufet sein, die Mittel auch, welche wir sonst
zu diesem Bau destiniret gehabt, Eurem Bericht nach nicht zureichen
wollen, so finden wir gut es damit annoch anstehen zu lassen, und
wollen Euch hiernegst unsere gnädigste Intention defshalb weiter
wissen lassen.“