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Centralblatt der Bauverwaltung.
26, September 1891.
Es erübrigt nun noch, die Widerstandsfähigkeit der Einmauerung
gegen Ausdrehen der Stufe zu untersuchen.
Der Widerstand, welchen das Mauerwerk einer Drehung der
Stufe entgegensetzt, läfst sich in ähnlicher Weise wie bei dem ein
gemauerten Freiträger durch die
Druckfigur Abb. 5 darstellen. Der
grofste Gegendruck findet hiernach
an den Kanten statt und nimmt
nach den Mitten der Seitenflächen
gleichmäfsig bis auf Null ab. In
Wirklichkeit wird sich der Wider
stand noch günstiger heraussteilen,
da die Abscherung zwischen Stein
und Mauerwerk nicht mit in Rech
nung gezogen ist. Nennt man die
Kantenpressungen ki und k$ und
ist die Tiefe der Einmauerung = t,
dann ergiebt sich der Widerstand
gegen Drehung zu
Man kann ferner annehmen, daCs zwischen kt und fcs die Be
ziehung stattfindet:
b 7 Ji Tc%
h 3 h 3 b
(für h = b wird = 1% für h —0, k$ — 0)
1 TT7 fl 12 » h 2 t (b* h Z \
un.l Wd = Y i* + b ) - -f-
Für den Grenzzustand des Gleichgewichts ist
Wd — M d ,
ki t { 6 3 -f- Ä 3s \ _qlLb
"ir v i J — 2
und hieraus
3 qZIö 2
mithin
k> =
^ ~ 2t(b 3 + h s ) 4)
Die Werthe von ki und k% dürfen die zulässige Beanspruchung
— der Stufen auf Biegung und des Mauerwerks auf Druck —■ nicht
übersteigen.
Nehmen wir nun alB MHtelwerthe für derartige Treppen beispiels
weise an:
L (Lauflänge im Grundrifs) ™ 300 cm
b (Trittbreite) = 28 „
h (Steighöhe)
t (Einmauerungstiefe)
q (Belastung f. 1 qcm)
so wird: Av— 0,284 l
kt = 0,0791
und für eine Stufenlänge von
i = 100 h = 28,4
Z =r 120 h ^ 34,1
l = 150 Te L = 42,6
l = 180 ki s= 51,1
Die Biegungsfeetigkeit für Granit kann
16 „
12 „ (Vs Stein)
0,07 kg
kt — 7,9 kg/qcm
k% — 9,5 „
h = 11,9 „
h 14,2 „
100—125 kg/qcm, die
Druckfestigkeit des gewöhnlichen Mauerwerks = 100 kg/qcm, die
jenige für Klinkermauerwerk in Ceroent = 150 kg/qcm angenommen
werden. Für 1 m weit freitragende Stufen ist alsdann eine 3,5 bis
4,4fache Sicherheit gegen Bruch der Stufe und eine 12 l /2fache Sicher
heit gegen Ausdrehen aus dem Mauerwerk (bei Anwendung gewöhn
lichen Ziegelmauerwerks) vorhanden.
Für 1,8 m freitragende Stufen beträgt die Sicherheit nur das
2—2,5, beziehungsweise 7 fache»
Die für Steinhaufen üblichen Sicherheitsgrade bieten daher selbst
freitragende Treppen von 1 m Stufenlänge nicht mehr, soweit wenig
stens das Material der Stufe in Betracht kommt und es sich um
gebräuchliche Abmessungen und Belastungen handelt. Immerhin
dürften bei Verwendung guten Materials und sorgfältiger Ausführung
derartige Treppen bis zu etwa 1,25 m Stufenlänge noch zulässig er
scheinen. Dagegen müssen Treppen von 1,8 m Stufenlänge als Con-
structionen bezeichnet werden, welche unseren heutigen Anforde
rungen an die Sicherheit eines Bauwerkes nicht mehr entsprechen.
Der Einwand, dafs derartige Treppen zahlreich ausgeführt sind und
sich gut bewähren, kann als stichhaltig nicht gelten, da ja in vor
stehender Berechnung der Nachweis geführt ist, dafs solche Treppen
allenfalls noch etwa das 2 Va fache der vollen Belastung aushalten
können, ohne einzustürzen; die Sicherheit ist jedoch insofern eine zu
geringe, als gerade in. dem folgenschweren Falle einer starken Be
lastung der Treppe mit Menschen der Einsturz durch eine gering-'
fugige Ursache, z» B. den Stofs eines herabfallenden Gegenstandes,
berbeigeführt werden kann. Hieran ändert auch der Umstand nichts,
dafs aufser den in Rechnung gezogenen Annahmen noch andere Ein
flüsse, wie die gewölbartige Verspannung der Treppe und die Wirk
samkeit der Stufen als Freiträger, günstig wirken können. So lange
diese Einflüsse sich nicht rechnerisch feststelleu lassen und der
Nachweis genügender Sicherheit nicht erbracht werden kann, ist es
jedenfalls räthlich, derartige gewagte Bauausführungen zu meiden,
um so mehr, als die Beseitigung der Gefahr in einfachster Weise
durch Unterziehen von Trägern unter den freien Stufen-Enden erreicht
werden kann.
Vorstehende Betrachtungen erstrecken sich nur auf Treppen mit
geraden Läufen. Nähert sich die Form deB Laufes derjenigen der
Wendeltreppe, bo* werden die Verhältnisse erheblich günstiger. Es
rückt nicht nur der Schwerpunkt der Stufenlast näher an die Ein-
mauerungsstelle heran, wodurch der auf das vordere Stufen-Ende ent
fallende Lastantheil geringer wird, sondern es wird auch die vordere
Breite der Stufe und damit der Hebelarm des Drehungb- und des
Biegungsmomentes kleiner. Bei der vollkommenen Wendeltreppe
mit voller Spindel wird 5 und damit auch M x und = 0. Hier
hat die Stufe lediglich die eigene Last nach dem Mauerwerk und der
Spindel zu übertragen und das entsprechende geringfügige Biegungs
moment auszuhalten, Königer,
Halle a. S» Eisenb.-Ban- und Betriebsinspector.
Anmerkung der Redaction. Infolge der Veröffentlichung de»
Herrn Prof, Dr. Wittmann über die Berechnung freitragender Stein-
treppen sind uns mehrere Entgegnungen zugegangen, welche in der
Hauptsache übereinstimmen, insofern sie nämlich betonen, dafs die
Stufen derartiger Treppen vorwiegend auf Drehung beansprucht
werden. Wir mufaten uns auf den Abdruck einer dieser Zuschriften
beschränken und wählten die zuerst ei&gegangene und den Gegen
stand am ausführlichsten behandelnde. Zu den Ergebnissen der
selben möchten wir indessen folgendes einschränkend bemerken,
Zunächst fehlt es noch an Versuchen, welche einen sicheren
Anhalt für die Berechnung der Drehungsspannungen in einem Stein-
b&lken bieten. Alle bisher aufgestellten Formeln sind an die Vor
aussetzung eines von der Gröfse der Schubspannung unabhängigen
Gleitmoduls (Schub-Elasticitätsmodul) gebunden, und die Zulässigkeit
dieser Annahme dürfte für den hier in Betracht kommenden Baustoff
zum mindesten bezweifelt werden, nachdem, sieh für Gufaeisen auf
Grund der Versuche von Bach die Annahme eines festen Gleit-
moduls als unhaltbar erwiesen hat.
Sodann ist daran zu erinnern, dafs die Gleichung
(I) ™ ‘g J °2 + j/°f + 4 .
aus der bekannten allgemeineren Gleichung
/ttn m — 1 i m -)- 1 —z
(II) 0-3 = 4 j/oJ + 4
durch Einführung von m gewonnen wird, dafs aber der Werth m
für die Gesteinsarten zur Zeit noch gar nicht bekannt ist. Aber selbst
die allgemeinere Gleichung II (Formel für den von Winkler „ideelle
Hauptspannung“ genannten, der Hauptdebnung proportionalen
Werth) daif zur Beurtheilung der zulässigen Inanspruchnahme nur
dann benutzt werden, wenn die Schubspannungen von sehr unter
geordneter Bedeutung sind,*) ein Fall, der z. B. bei vorwiegend auf
Biegung beanspruchten Stäben vorliegt. Denn Gleichung II setzt
voraus, dafs die zulässige Beanspruchung auf Abscherung zur zu
lässigen Normalspannung im Verhältnis m: (m 1) steht, was aber
keineswegs immer der Fall ist — ein Umstand, welcher Bach zur
Aufstellung der Formel führte:**)
m — 1
2 m
+ '“■< Li 1 f °l + 4 K
wo
zulässige Anstrengung bei Normalspannung
■*o “ m + 1
m
zulässige Anstrengung bei Schubspannung
Wir sind daher der Meinung, dafs es noch recht zahlreicher Ver
suche bedarf, um die Aufgabe der Berechnung freitragender Stein-
treppen einer befriedigenden Lösung entgegenzufübreh.
*) Vergl. Müller-BTeslau, Graphische Statik, 1887,BandI S. 86-
**) Bach, Elasticität und Festigkeit, 1889, Seite 251. Wir haben,
oben die Bezeichnungen des Königerschsn Aufsatzes eingeführt.