Centralblatt der Bauverwaltung
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Sr. 12.
gegenüber der bisherigen Nägelbefestigung ins Gewicht. Rüppell hat
zwar bei den mitgetheilten Messungen Seitenbewegungen des Kopfes
nur bis zu S mm und auch solche nur ausnahmsweise beobachtet.
Es ist jedoch nicht gesagt, dafs diese Messungen auch in schärferen
Bögen stattgefunden haben, was hierbei besonders in Frage kommt.
Ferner ist es ungemein schwierig, solche Bewegungsangabe wirklich
richtig zu erhalten, weil die Schwellen und deren ganze Umgebung,
namentlich die Bettung, in welcher meistens die Meßvorrichtungen
befestigt werden müssen, selbst erhebliche elastische Verdrückungen
erleiden, die Wahrscheinlichkeit also nahe liegt, dafs nur die relative
Bewegung der Theile gegeneinander, nicht die wirkliche Bewegung
der Schiene gemessen wird. Gerade auch in dieser Beziehung dürfte
also die Anstellung von Versuchen mit beiden Arten der Schienen-
aufeattelung nur erwünscht sein.
Herr Rüppell führt bezüglich der Unterhaltungskosten noch Er
gebnisse von Versuchsstrecken und namentlich von solchen mit Eisen-
schwellen an, um darzuthun, dafs das Gewicht nicht einen sehr
wesentlichen Einflufs übe auf die Höhe dieser Kosten. In der Nach-
weißung Seite 24 Nr. 4 u. 5 zeigt aber doch die Eisenschwelle von
50 gegen diejenige von 85 kg bereits eine Kostenverminderung von
448 auf 216 J{, d. i. auf weniger als die Hälfte. Eine weitere Ge
wichtsvermehrung des ganzen Gestänges dürfte also doch wohl noch
weitere Ersparnisse erwarten lassen.
Was die Eisenschwellen überhaupt betrifft, auf die ich bisher
nicht eingegangen war, so scheint mir auch hier eine Vermehrung
des Gesamtgewichts — neben zweckentsprechender Gestaltung der
Betriebsmittel — zur Erzielung einer ruhigen Fahrt ebenso wichtig
wie bei Holzschwellen zu sein, umsomehr, da die Eisenschwelle bieg
samer ist als die Holzschwelle und da ihr die stofsmildernde Wirkung
der Holzschwelle fehlt. Dieser letztere Punkt ist es, welcher neben
der früher zu leichten Ausführung mit dazu beigetragen hat, der
Eisenschwelle trotz der sehr viel besseren Schienenbefestigung den
Sieg über die Holzschwelle vorzuenthalten. Die Eisenschwelle mufs,
um auf die Dauer genügenden Widerstand zu leisten, steif und schwer
genommen werden. Damit wird aber zugleich ein hartes Fahren
veranlafst, so lange es nicht durch entprechende Bauart der Wagen
aufgehoben wird. Auch hierin mag einer der Gründe liegen, welche
in England die Abneigung gegen die Eisenschwelle befördern, ebenso
wie man dort auf die ausgiebige Verwendung des Holzes beim
Wagenbau besonderes Gewicht legt.
Gegenüber der von mir bervorgehobenen Leichtigkeit der Lösung
und Wiederherstellung der Schienenbefestigung im Stuhl mit Holz
keilen betont Herr Rüppell, dafs gegenwärtig das Auswecbseln von
Schienen sehr selten vorkommt („während der Haftzeit etwa eine
Schiene auf 20 km Geleise“, Seite 4 unten rechts). Es mufs aber doeb
(nach der Haftzeit) schließlich eine Zeit eintreten, wo vor dem Um
bau des ganzen Geleises die Auswechslungen häufiger werden, und
zudem wird die Lösung der Befestigung auch bei Holzschwellen zu
deren Auswechslung erforderlich. Wenn nun auch gewifs die
Schienen nicht ~ wie von anderer Seite hervorgehoben wurde — des
Umbauens wegen, sondern in erster Linie zum Befahren da sind, so
wurde doch bisher seitens der mit der Geleiserhaltung befafsten
Techniker immer grofser Werth darauf gelegt, dafs solche Unter-
haltungsarbeiten am Geleise thunlichst rasch und einfach sich ge
stalten, damit keine Störung oder Behinderung des Betriebes ent
steht. Nach Rüppell soll nun die Zeit, welche zur Lösung und
Wiederherstellung der Laschenverbindung erforderlich ist, auch zu
gleich zu allen anderen Arbeiten für das Auswecbseln einer Schiene
auf 10 oder 11 Holzschwellen genügen. Das setzt aber mindestens
eine vorzüglich eingcschulte Arbeitergruppe voraus, und es dürfte
fraglich erscheinen, ob in dem — unerwartet — eintretenden Falle
einer Schienenauswechslung zwischen zwei Zügen stets an jeder
Stelle eine so gut eingeübte Arbeitergruppe sofort vollzählig zur
Hand sein wird.
Die Weichen der Midlandbahn anlangend, soll nach Rüppell aus
meinen Mittheilungen „die Ansicht hervorleuchten“, dafs sie in vielen
Punkten als nachahmungswerth zu empfehlen seien. Auch diese Aus
legung geht erheblich über das von mir gesagte hinaus. Es mufs
doch gestattet sein, über ausländische Einrichtungen eingehende that-
sächliche Mittheilungen zu machen und einzelne dabei zur Anwendung
gelangte Gesichtspunkte der „Beachtung“ 7 ), d. h. einer unpartei-
7 ) s. Seite 158, am Schluß des Aufsatzes, 5. Zeile v. u.
Technikers Ft
Schinkel, dessen Andenken nach altem schönem Brauch der
*) Festrede, gehalten bei der Schinkelfeier des Architektenvereins
in Berlin am 13. März 1891 von Herrn Geheimen RegieruDgsrath
Professor Dr. G. Hauch.
iechen Prüfung zu empfehlen, ohne deshalb die Meinung zu erwecken,
als wolle man eine urtheilslose Nachahmung befürworten. Die An
deutung der Möglichkeit, dafs allzaweite Spielräume nachtheilig auf
den Gang des Wagens wirken könnten, sollte nur die Aufmerksamkeit
auf diesen Punkt lenken. Eine solche Möglichkeit des Schlotterns
scheint jedenfalls nicht ausgeschlossen. Ist doch auch die Spur
erweiterung in Krümmungen bei manchen Verwaltungen gegen frühere
gröfsere Mafse später eingeschränkt worden. — Die Zweckmäfsigkeit
der symmetrischen Anordnung der Zungenvorrichtung ist von mir
bereits stark angezwcifelt worden. Diese Anordnung scheint in der That
— nach anderweitigen Nachrichten — nur auf dem Papiere, gewisser
maßen als mittlere Lage gezeichnet zu sein, indem bei der Aus
führung dieselben Theile mit einer kleinen Verschiebung („a little slip“)
für die Rechts- oder Linksweiche zur Verwendung gelangen. Eine
Eigenthiimlichkeit, die allerdings mit dem Stuhloberbau zusammen
hängt, wird man übrigens bei allen etwaigen sonstigen Mängeln jeneu
Weichen nicht absprechen können: sie erfordern sehr wenig besondere
Theile, namentlich wenig Kleineisenzeug, hiervon nämlich im wesent
lichen nur einige verschiedene Stühle, während bei unseren Weichen
die Zahl der besonderen Theile, zumal des Kleineieenzeugs, nicht
gering ist. Diese verhältnifsmäfsig grofse Einfachheit scheint mir
allerdings ein Vorzug zu Bein.
Wenn übrigens die Weichen und der Oberbau überhaupt in
England so überaus mangelhaft wären, wie das nach Rüppells An
sicht offenbar der Fall sein müfste, so wäre doch die Thatsache recht
befremdend, dafs man auf diesen Geleisen bei lebhafterem und
rascherem Betriebe so viel sanfter fährt, und dafs man selbst bei
gröfster Geschwindigkeit zahlreiche Weichen ohne jeden fühlbaren
Stofs durcheilt, sie vielmehr oft nur bemerkt, wenn man sie beim
Ausschauen sieht. Wenn wirklich so grofse Mangelhaftigkeit des
GeleiBebaues durch die — gewifs sehr anzuerkennende — Wagenbau
art bo vollständig ausgeglichen werden sollte, so müfste dem eine
ganz seltsame Erscheinung zu Grunde liegen. Es müfste dann die
Technik des Wagenbaues auf einer wunderbar hohen, diejenige des
Geleisebaues auf einer erstaunlich niedrigen Stufe stehen, und zwar
gleichmäßig bei allen grofsen englischen Eisenbahngesellschaften.
Daß wäre bei der anerkannt praktischen und geschäftsmännischen
Begabung des englischen Volkes, welcher die Welt so manches
Zweckmäfsige verdankt, kaum zu erklären. Ich gehöre keineswegs
zu denen, welche alles, was aus England kommt, unbesehen gut
heifsen, habe itn Gegentheil die englischen Eisenbahnen nicht ohne
Mifstrauen in übertriebene Lobeserhebungen solcher Art betreten.
Ich habe mich aber doch überzeugt, dafs eine genaue, gründliche
und allseitige Prüfung der englischen EisenbahnbauverhältniBse, für
die mir nicht die nothige Zeit zu Gebote stand, für unsere Eisenbahn
technik nach mancher Richtung nutzbringend werden könnte. Zu
einer solchen weiteren Prüfung auch an Ort und Stelle, sowie zur
gründlicheren Sammlung von Erfahrungen an ähnlich hergestellten
Versuchstrecken im eigenen Lande durch einige thatsächliche
Angaben, wie sie mir gerade zu Gebote standen, anzuregeo, das allein
war der Zweck meiner „Mittheilungen*.
Von anderer Seite findet man den Hinweis auf Verbesserungs-
fahigkeit der Wagen mit der Darlegung beantwortet 8 ), dafs unsere
deutschen Wagen vortrefflich sind. Wollte man ebenso die Auf
forderung zu Versuchen mit Oberbauarten, welche von den unseren
wesentlich abweieben, durch den Hinweis auf die Vorzüglichkeit der
unsrigen bekämpfen, sich also darauf beschränken, den Streit auf
dem Papiere zu führen, so würden wir in der Sache keinen Schritt
weiter kommen. Dem gegenüber anerkenne ich, um es nochmals zu
betonen, in hohem Mafse, dafs Herr Rüppell zur Verbesserung unseres
Ilolzschwellen-Oberbaues einen positiven Vorschlag macht, welcher
den von mir hingestellten Anforderungen fast in allen wesentlichen
Punkten bereits sehr nahekommt. Diesen Vorschlag begrüfse ich —
nicht als eine Widerlegung, sondern als die beste Bestätigung und
einen sehr erfreulichen Erfolg meiner Darlegungen, nur scheint mir,
dafs man solche Versuche gerade auch mit verschiedenen und wesent
lich abweichenden Bauarten in ausgedehntem Mafse anstellen müßte,
um rascher vorwärts zu kommen, ale dies mit bloßen Erörterungen
auf dem Papier möglich ist, welche bei diesem Gegenstände immer
nur einen mehr oder weniger theoretischen Werth haben können.
— A. Goering.
8 ) Vgl. u. a. Zeitung Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen. 1890.
Seite 269. r
t-Erklärung.*
heutige Tag geweiht ist, sagt in Beinen Kunstaphorismen: „Zum
vollkommenen Zustand gehört reelle Lebendigkeit, Regsamkeit.
Ueberali ist maa nur da wahrhaft lebendig, wo man neues schafft“.
Der Satz athmet Goetheschen Geist. Wir könnten ihn etwa das
Leitmotiv des herrlichen Faust-Gedichtes nennen, jenes unvergäng-