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Centralblatt der Bauverwaltung.
4. März 1891.
Eine Abhandlung J. W. Schwedlers Uber eisernen Oberbau.
Eben jetzt, wo der Wirkliche Geheime Ober-Baurath J. W.
Sehwedler aus dem Staatsdienste ausgeschieden und in den Ruhe
stand eingetreten ist, wird man eich in den Kreisen deutscher wie
ausländischer Techniker gern und lebhaft wieder dessen erinnern,
was dieser bedeutende Mann im Bauwesen geleistet hat. Ein solcher
Rückblick würde indessen nur ein unvollständiges Bild von Schwedlers
Wirken geben, wenn er eine seiner ohnehin nicht sehr zahlreichen
Schriften aufser acht liefse, welche infolge besonderer Umstände
bisher nur wenigen bekannt geworden sein dürfte. Bei Gelegenheit
einer durch den Ingenieur Charles Wood im Jahre 1881 veranlafsten
Verhandlung der „Institution of civil cngineers“ über eisernen Ober
bau äufserte zugleich mit vielen anderen hervorragenden Technikern
auch Sehwedler seine Ansichten über diese Frage in einer Zuschrift,
welche demnächst zusammen mit Woods Abhandlung sowie einem
Abrifs der Verhandlung über die letztere und den Zuschriften anderer
Techniker in den „Minutes of proceedinga of the Institution of civil
engmeers* im Jahre 1882 unter dem Titel „On Jron Permanent Way“
in englischer Sprache veröffentlicht wurde. Dafs Schwedlers Ab
handlung in dieser Gestalt nur wenigen deutschen Lesern bekannt
geworden sei, darf man um so mehr annehmen, als das Buch im
Handel vergriffen und in Bibliotheken kaum anzutreffen ist. Da die
Schrift indessen zur Zeit ihres Erscheinens einen wichtigen Fortschritt
namentlich in der theoretischen Erkenntnifs des Geleisgefuges be
deutete, so scheint es angemessen, sie durch unveränderte Mittheilung
in diesem Blatte — wozu die „Institution of civil cngineers“ freund-
lichst ihre Genehmigung ertheilt hat — hiermit einem grofsen deut
schen Leserkreise zugänglich zu machen. Die Schrift ist mit ihrer
Fülle anregender Gedanken auch gegenwärtig noch von hohem
Werthe. Eine innige Verknüpfung theoretischer und praktischer Er
wägungen zeichnet sie aus und giebt ihr ein eigenartiges Gepräge.
Das Streben des Verfassers, bei dieser Behandlung des Stoffes die
Uebersichtlichkeit nicht zu beeinträchtigen, scheint ihn bestimmt zu
haben, bei den theoretischen Rechnungen nur die Voraussetzungen
und die Endergebnisse, nicht jedoch die Zwischenrechnungen zu
geben. Bekanntlich bat Sehwedler einen Theil der in dieser Schrift
enthaltenen Theorie in viel ausführlicherer Weise und mit allen
wesentlichen Zwischenrechnungen später (1889) unter dem Titel:
„Beiträge zur Theorie des Eisenbahn-Oberbaues“ in der Zeitschrift
für Bauwesen veröffentlicht.
Auf eine eingehende Würdigung des Inhaltes der Folgenden Ab
handlung darf hier verzichtet werden. Es sei in dieser Beziehung
nur angeführt, was Dr. Zimmermann über sie in seinem werth
vollen Buche: »Die Berechnung des Eisenbahn-Oberbaues“ *) u. a.
sagt: „In neuerer Zeit ist die Theorie des eisernen Oberbaues aufser-
ordentlich gefordert worden durch die Untersuchungen von Sehwedler,
der zum erstenmal ein Verfahren angegeben hat, nach welchem der
Einfiufs verschiedener Lasten, die in beliebigen Abständen auf der
Langschwelle vertheilt sind, berechnet werden kann. Aufserdem
bat Sehwedler aber ... ein äufserst sinnreiches Verfahren angegeben,
nach welchem die in der Querschwelle auftretenden Spannungen mit
Hülfe der vorerwähnten, für die Langschwelle gültigen Formeln
näherungsweise berechnet werden können. Ferner hat Sehwedler den
Widerstand der Bettung gegen gröfsere, auf seitliche Verschiebung
der Massen hinwirkende Belastungen untersucht und daraus Schlüsse
hinsichtlich der erforderlichen Schwcllcnbreite und des höchsten zu
lässigen Druckes für die Flächeneinheit gezogen.“ S.
Zur Beurtheilung der Zweckmäfsigkeit der ConBtruction eines
Eisenbahn-Oberbaues reicht die Erfahrung allein nicht aus. Es ist
zunächst erforderlich, die theoretischen Bedingungen der Gestaltung
zu ermitteln und dann die Zulänglichkeit der Hypothesen durch Be
obachtung der Erscheinungen zu prüfen. Zu diesem Zwecke wird
hier zunächst die Theorie des Langschwellen - Oberbaues erörtert.
Die derselben zu Grunde liegenden beiden Hypothesen sind folgende;
1. Der Erdboden (Planum und Bettung) unter den Langschwellen
wird entsprechend den darüber rollenden Lasten zusammengedrückt,
bis nahezu vollkommene Elasticität eintritt, Danach ist die elastische
Zusammendrückung des Bodens proportional der Belastung und
umgekehrt proportional der zusammenhängenden Druckfläche der
Schwelle. Ist der Elasticitäts - Coefficient des Erdbodens C, die
Schwellenbreite B, die Eindrückung y, so beträgt die Reaction p
auf die Längen-Einheit (cm) der Schwelle
— p = C B y.
Da nun Schienen und Schwellen zusammen ein gemeinschaftliches
Balkensystem bilden, welches die Einbiegungen y erleidet, wenn der
*) Die Berechnung des Eisenbahn-Oberbaues von Dr. H. Zimmer
mann. Berlin, Verlag von Ernst u. Korn (Wilhelm Ernst) 1888.
Raddruck P = 7000 kg darauf wirkt, und da für elastische Balken
die Gleichung
EJ
d*y
dz*
P
gilt, in welcher E den Elasticitats-Coefficienten des Oberbaumaterials
und J = J\ J2 die Summe der Trägheitsmomente der Qaerschnitts-
flächen von Schiene und Schwelle in Bezug auf die bezüglichen
Schwerpunkte dieser Flächen bedeutet, so ist die theoretische
Grundgleichung des Langschwellen-Oberbaues
EJ ti-— CB »■
2. Die Festigkeit des Erdbodens wächst zunächst mit der Zu
sammendrückung desselben, hat aber eine Grenze, bei welcher durch
Verschiebung ein Ausweichen eintritt. Diese Grenze der Festigkeit
ist für die Längeneinheit der Schwelle proportional dem Werthe B*,
wie weiter unten noch erörtert werden soll. Es ist danach zu setzen
Po = <fB*,
worin tf den Festigkeite-Coefficienten des Erdbodens, P Q die Reaction
unmittelbar unter der Last bedeutet.
Versuche auf den Elsafs - Lothringischen Bahnen haben ergeben,
dafs V bei nassem und weichem Boden bis auf 2 kg/qcm herabgeht
und bei festem Boden bis auf 8 und mehr kg/qcm aufsteigt, ge
wöhnlich aber — 3 kg/qcm gesetzt werden kann.
Der Coefficient <7 ist noch nicht durch Versuche festgestellt. Nach
theoretischen Ermittlungen wurde derselbe für scharfen Sand etwa 0,08
betragen; bei verschiedenen Lang- und Querschwellen-Anordnungen
berechnet er sich auf 0,04 bis 0,08. Je gröfser indessen dieser
Coefficient angenommen wird, desto mehr mufs das Geleis sinken,
um elastische Festigkeit zu erlangen, und er ist somit der Mafsstab
für die feste Lage der Geleise, wenn man nur die senkrechte Be
lastung berücksichtigt.
Auf Grund dieser beiden Hypothesen ergiebt die mathematische
Entwicklung der Grundgleichung des Langschwellen-Oberbaues für
die Festigkeit desselben gegen eine senkrecht wirkende Einzellast die
beiden Bedingungen zwischen den Abmessungen und den Coeffieienten:
1)
2)
t-
±EJ_
CB
t
C_B
"4 EJ'
worin k die gröfste Spannung im Schienenfufse für das qcm und e
die Höhe des Schwerpunktes der abgenutzten Schiene über dem Fufse
derselben bedeutet.
Wenn man den Factor 11111 rn bezeichnet, und unter M 0
das Biegungsmoment des Oberbaues unter dem Rade versteht, so
kann man obige beide Formeln übersichtlicher auch schreiben:
P
4 tn
Po
&G =
Pm
und die Auswerthung hiernach ordnen.
Zur Erläuterung vorstehender Formeln wird nachstehend das
Verhalten des Berliner Stadtbahn-Oberbaues bei verschiedenen Boden
gattungen, welche durch die Elasticitäts - Coefficienten C = 2, 3, 4, 8
bezeichnet und charakterisirt sind, in Zahlen berechnet. Es ist dabei
das Trägheitsmoment der abgenutzten Schiene J\ = 570, die Höhe
des Schwerpunktes derselben über dem Fufse e — 5,7 cm, das Träg
heitsmoment der Langschwelle Ja — 130, mithin J = Ji-\- J% — 7Q0.
Die Schwellenbreite B beträgt 32 cm. Es berechnet sich nun (wenn
P = 7000 kg, E =2 000 000 kg):
für C =
2
3
4
8
1 _
tn
97
88
81
65
0 4 m
170 000
154000
142000
114000
emkg
Pm
2
35
40
43
54
kg auf das lfd. cm
. Me
j -
1385
1254
1145
929
kg auf das qcm
« P *
0,035
0,039
0,042
0,052
Für den Hilfschen Oberbau würde man erhalten bei Anwendung
einer hohen Schiene mit e = 5,8 cm, Ji = 680, J2 — 70, J = 680 -{-
70 — 750, B — 30 cm,