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Centralblatt der Bauverwaltung,
16. November 1889.
Einrichtung der zu Höhenmessungen dienenden Mefslatte.
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Abb. 1.
Bei den Höhenmessungen, wie sie im Eisenbahubau Vorkommen,
werden die Ablesungen an der Mefslatte entweder in der Weise ge
macht, dafs die Latte nach dem Ermessen des betreffenden Arbeiters
möglichst genau senkrecht auf den Pfahl
gestellt wird, oder so, dafs der Arbeiter
sie langsam nach vorn und hinten neigt.
In letzterem Falle beschreibt das obere
Ende einen Kreisbogen (Abb. 1), während
der Lattenfufs auf dem Pfahl ruht. Die
niedrigste Ablesung, die man nun durch
das Fernrohr machen kann, gilt alsdann
als die richtige, da sic der senkrechten
Stellung der Latte entspricht. Abb. 2
stellt die Reihe der abgelesenen Höhen dar, wenn die Latte nach
und nach in die Lagen c bis ff gebracht wird. Pe ist dabei als die
richtige zu nehmen.
Die letzte Art der Ablesung dürfte vor
der ersteren deshalb den Vorzug verdienen,
weil man durch das Fernrohr die richtige
Handhabung der Latte beobachten kann,
was bei dem ersteren Verfahren nicht ganz
in gleichem Mafsc der Fall ist. Man kann
hier durch das Fernrohr wohl beobachten, ob die Latte sich in der
senkrechten, durch die Sehlinie und den Pfahl gelegten Ebene befindet,
aber nicht, ob und wie wett sie nach vorn oder hinten geneigt, ist.
Wendet man nun aber das zweite Verfahren in stärker geneigten
Strecken an, wobei man häufig behufs Vermeidung zu vieler Auf
stellungen die Ablesungen an der Latte nahe am unteren Ende der-
Abb. 2.
Abb. 4-
selben machen wird (Abb. 3), so kann die Lattendicke die Richtig
keit der Ablesungen in bedenklicher Weise beeinflussen.
Stellt Abb. 4 eine um den Winkel n nach rückwärts geneigte
Mefslatte von der Dicke b dar, und ist A die wahre Höhe der Seh
linie über dem Pfahl, während l das Mafs angiebt, welches man an
der geneigten Latte abliest, so ist:
1) h = b sin « -|- l cos o
2) l = ~ b tg «.
cos «
Der Werth von l hängt also von der GrÖfse des Winkels o ab. Setzt
man die erste Ableitung des dafür gefundenen Ausdrucks gleich
Null, also:
■ (sin ft h — b) — 0,
so findet man, dafs / jedesmal für sin « — ^ den kleinsten Werth
erreicht. Die verschiedenen Werthe, die l an
nimmt, wenn die Latte von der nach vorn ge
neigten Lage bis zur senkrechten Stellung und
von dieser in eine nach hinten geneigte Lage
übergeht, stellt die Abb. 5 dar.
Wenn man nun statt der Höhe h das
geringste Mafs der Ablesung Iq aufzeichnet,
so begeht man einen Fehler, dessen Gröfae
mit der Dicke der Latte zunimmt. Wird nämlich in die Gleichung 2
b
sin a — ■
h
eingesetzt, so wird
, A 2 — 6 2
l °=YW=T= Vhi - hi
welcher Werth um so mehr von A abweicht, je gröfser b ist. Ist
6 = 3 cm, so ergiebt sich:
für A = cm
t o— cm
(A — Iq) — cm
5
4,00
1,00
10
9,54
0,46
15
14,70
0,30
20
19,77
0,23
25
24,82
0,18
30
29,85
0,15
Die voranstehenden gröfsten Werthe des Fehlers (A— /o) werden
allerdings wohl nicht Vorkommen, weil dabei eine ziemlich stark ge
neigte Lage der Latte vorausgesetzt ist, wäh
rend der Winkel « gewöhnlich nur bis etwa
15° ausgedehnt werden wird. Immerhin kann
der Fehler leicht Werthe von 1 — 2 mm
annehmen und sich bei häufiger Wieder
holung in einem Mafse steigern, welches die
Genauigkeit der Höhenmessung ganz erheb
lich beeinträchtigt. Es dürfte sich daher
empfehlen, die Latte unten mit einem Kugel
gelenk zu versehen, dessen Mittelpunkt genau
unter der Voxderfläche der Latte liegt, wie
in Abb. 6 dargestellt ist. Da der Nullpunkt
der Theilung an der Unterkante der Sohl
platte angenommen werden mufs, die'Theilung
daselbst aber nicht gut anzubringen ist, so
wird man die Ablesung an dem untersten
Theil, etwa bis zu 5 cm, am besten ganz zu vermeiden suchen. Es
sei noch der Vortheil des Kugelgelenks hervorgehoben, dafs der
Arbeiter beim Umdrehen der Latte diese weder zu rücken noch
abzuheben braucht. Nie. Gutjahr,
Königl., Reg.-Bauführer.
Abb. 0.
Die Gobelins-Weberei in Koni
Während dos Sommers von 1387 hat in Rom eine Ausstellung
von Weberei- und Spitzen-Arbeiten stattgefunden. Bei dieser Ver
anlassung wurde die allgemeine Aufmerksamkeit eine Zeit lang
wieder auf den höchst eigenartigen Knnstgewerbezweig der Gobelins-
Weberei gelenkt, die früher hier eine ziemlich hervorragende Bedeu
tung besessen, solche aber in demselben Augenblicke eingebüfst hat,
als der päpstliche Stuhl sieh um seinen weltlichen Besitz gebracht
sah. Seit dem Jahre 1870 steht nun die in dem weiträumigen Ospizio
di San Michele eingerichtete, ehemals dem Vatican zugehörige
„Fabbrica degli Arazzi“ beinahe gänzlich still; ihr fehlt seitdem die
thatkräftige Unterstützung von Seiten der Curie und der anderen
hohen Gönner-von ehedem, ohne welche eine derartige, lediglich auf
die Erzeugung kostspieliger Luxus-Gegenstände gerichtete Anstalt
niemals bestehen kann. Auf die Beihülfe der Staatsregierung des
jungen Königareichs darf sie vorläufig nicht zählen; denn dieser
drängen sich heute noch allznzahlreiche Bedürfiiisse näher liegender
und auch wichtigerer Art auf, deren Befriedigung das volle financielle
Vermögen des Landes in Anspruch nimmt. Immerhin sind doch
selbst jetzt schon vereinzelte Stämmen laut geworden, welche der
Wiederbelebung jenes einstmals mit so vieler Liebe und glücklichen
Erfolgen gepflegten Zweiges des KuriSt-Gewerbes das Wort reden.
Die Kunstfertigkeit, Teppiche nach Darstellungen der Malerei
so ät) weben, als sei mit dem Geflechte der Fäden gewissermaßen
die Strichführung des Pinsels nachgeahmt, ist sicherlich schon in
früher Zeit geübt worden.- In Europa • wurde sie, soviel bekannt',
zum ersten Male durch die Vlamländör zu bedeutsamer Vollendung
gebracht. Die hn 15. Jahrhundert und später aus den Fabriken von
Brüssel und Ärras hervorgegangenen, nach letzterem Orte „Arazzi“
benannten Wandteppiche gelten Wb heute als hervorragende Meister
stücke der Kunst-Weberei. Von Flandern breitete sich das Gewerbe
nach den benachbarten Staaten aus, vornehmlich nach Frankreich
und Italien. Arbeiter aus Arras (les ArCtiens, woraus das italienische
„Arazzieri“, d. s. Verfertiger der Arazzi) genossen eines besonderen
Ansehens und wurden überall, wo man neue Anstalten zur Verferti
gung von Teppichen gründen wollte, begehrt. So entstand mit ihrem
Beistände in Frankreich zunächst dfe Teppich-Wirkerei in
'Fontainebleau, welche Heinrich II. mit vielerlei‘Vergünstigungen
ausstattete, und die besonders unter der Leitung von Philibert de
Lorme zu hoher Blüthe gedieh. Berühmter wurden weiterhin, als
das Ansehen der vlämischen Schule zu verblassen begoünen, die in
Paris durch Ludwig XIV. 1662 idb Leben gerufenen Manufactures
Royales des Gobelins, die- dadurch zu Stande gekommen waren,
dafs man die bis dahin in den Tuilerieen und im Louvre eingerichte
ten Werkstätten det Teppichweber mit der Schon seit Mitte des
15. Jahrhunderts am Ü&r der Bi£vre‘ von der Färber-Familie
„Gobelins* betriebenen-Schärlachfärberei vereinigt hätte. In den