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Centralblatt der Bauverwaltung:
26. öctober 1889.
Zurückgehen der Weichenzungen zu ermöglichen. Sie lieferte damit
aber auch nur einen elastischen Weichenverschlufs, ungeachtet
ein vollständig unelastisches Material — die Flüssigkeitssäulen —
zur Druckübertragung diente.
Der Kraftsammler war ferner dazu bestimmt, die durch Wärme
schwankungen hervorgerufene Ausdehnung der Flüssigkeit sowie
sonst entstandene kleine Verluste auszugleichen.
Die Anwendung des elastischen Weichenverschlusses hatte den
Nachtheil, dafs ein Umlegen des StellhebelB möglich war, ohne dafs
die Weiche dieser Bewegung zu folgen brauchte. Zwar konnte der
zugehörige Hebel nicht wohl in die betreffende Endstellung gebracht
werden, aber schon die Möglichkeit, den Stellhebel unabhängig von
der Weiche bewegen zu können, brachte eine gewisse Unsicherheit
mit sich. In diesem Ausnahmefall wurde die Flüssigkeit in den
Kraftsammler gepumpt, was um so leichter erfolgte, je tiefer der
Druck desselben gesunken war. Um die Zungen im festen Schlufs
gegen die Fahrschienen zu erhalten, mufste das ganze Rohrnetz
dauernd unter Druck stehen. Eine undichte Stelle konnte daher
nicht allein jede weitere Bedienung des Stellwerks, sondern auch den
Verschlufs der eingestellten Weichen aufheben.
Es ging daher das Bestreben zunächst dahin, die Inanspruch
nahme der Rohrleitungen herabzumindern, um damit einem baldigen
Leckwerden der Rohre thunliehst vorzubeugen. Das konnte nur ge
schehen, indem man die Forderung, die Zunge solle nach erfolgtem
Auffahren selbstthätig in ihre Anfangsstellung zuriiekgehen, aufgab.
Nun lief» sich ein Kraftsammler mit verhältmfsmälsig niederem Druck
nnwenden, sodafs im Zustande der Ruhe der Druck kleiner war
als während des Umlegens, und allein nicht genügte, die Weiche zu
bewegen.
Die gesamte Stellvorrichtung bestand aus den drei Theilen:
a) dem eigentlichen Stellwerk, Abb. 5-8,
b) der Weichen-Umstellvorrichtung, Abb. 9—10,
c) der Rohrleitung (in Abb. 11 angedeutet).
Das Stellwerk besteht im wesentlichen aus dem Hebel H mit
fester Hubbegrenzung (Handfallen), den beiden Cylindern C und
den Kolben K und K‘ nebst den Ventilen v und v‘ in Verbindung
mit einer Controlvorrichtung.
In der in den Abb. 5 bis 8 dargestellten Lago des Hebels H ist
der Kolben K in seine tiefste Stellung herabgedrückt. Das Ventil v
ist dabei durch den Kolben K geöffnet, und die Leitung L steht somit
unter dem Drucke des Kraftsammlers. Der Kolben k des dieser
Leitung entsprechenden Druckcylinders c an der Weiche (Abb. 9—11)
ist soweit herausgedrückt, dafs er die Zunge Z fest an .die zugehörige
Fahrschiene drängt. Der Kolben k‘ des anderen an der Weiche
befindlichen Cylinders e' ist in denselben hineingedrückt. Die vom
Stellwerke zu ihm führende Leitung befindet sich nur unter dem
Drucke, den die Luft und das Gewicht des Kolbens K‘ auf sie aus
üben. K‘ ist in seiner höchsten Stellung.
Legt man den Hebel II um, so wird der Kolben K‘ von dem
Stempel s' in den Cylinder C‘ gedrückt. Die in der Leitung L 1 be
findliche Flüssigkeit überträgt die dem Kolben K' mitgetheilte Be
wegung auf den Kolben k'. und es erfolgt so die Umstellung der
Weiche. Kurz vor Erreichung seiner tiefsten Steilung drückt der
Kolben K‘ das Ventil v‘ auf, sodafs die Leitung L‘ unter den Druck
des Kraftsammlers zu stehen kommt, wodurch der sichere Schlufs
und die Möglichkeit des Auffahrens, bezw. nach diesem der Rück
gang in die alte, der Stellung des Hebels Üf entsprechende Lage der
Weiche erzielt wird.
Bei Beginn des Umlegens schliefst sich infolge der Wirkung der
Feder f das Ventil v (Abb. 6), wobei sieb der Kolben K etwas hebt
und dann stehen bleibt, da er mit dem Hebel H nur so verbunden
ist, dafs er durch diesen zwar in den Cylinder C hineingedrückt, aber
nicht aus demselben herausgezogen werden kann. Erst dadurch,
dafs die Weiche während ihrer Bewegung (Jen Kolben k (Abb. 9—11)
in den Cylinder c hineinprefst, wird der Kolben K (Abb. 5—8 und 11}
aus dem Cylinder C entsprechend dem Umstellwege herausgedrückt.
Auf dieser Rückwirkung beruht die Prüfvorrichtung für das sichere
Arbeiten des Stellwerkes und den richtigen Weichenschlufs. Zu
dem Zwecke sind die beiden Kolben K und K‘ mit den um A dreh
baren Hebeln h und h' mittels der Verbindungsstücke / und 1‘ und
der Feder F verbunden.
Jeder der Hebel A und h‘ trägt an einem nach oben zeigenden
Arme ein Bogenstück p bezw. p*. Die Handfalleg trägt an ihrem
unteren Ende die kleinen einarmigen Hebel d und d', an denen
sich die Stifte i und *' befinden.
Würde nun durch irgend welchen Umstand die beschriebene
Arbeitsweise gestört, als z. B. durch Zwischenfällen fremder Körper
zwischen Zunge und Backenschiene, so vollendet der freie Kolben K‘
und das mit ihm verbundene Bogenstück p' seinen Weg nicht, wo
durch der Stift i' gezwungen wird, auf der unteren Fläche des Kreis
bogenstückes p‘ zu gleiten. Infolge davon kann die Falles nicht in
den der Endlage des Hebels entsprechenden Einschnitt des Führungs
bogens eingreifen, Da nun die Verschlufskörper bei Sicherungsstell-
wevken von den Handfallen aus bewegt werden, so ist die Möglich
keit der Verbindung irgend einer Verschlufsvorrichtung mit dem
Wasserdruck-Stellwerk gegeben.
Als Leitungsrohre verwendete man ursprünglich Messingrohre
von 13 mm lichter Weite und 1 mm Wandstärke, deren Dichtigkeit
auf einen Druck von 100 Atmosphären geprüft war. Die Flüssigkeit
bestand zur Hälfte aus Wasser, zur Hälfte aus Glycerin, einer
Mischung, welche erst bei einer Kälte von über 36° Celsius ge
friert.
Eine ganz besondere Aufmerksamkeit mufste der Verbindung
der einzelnen Rohrlängen unter einander zugewendet werden. Zu
dem Zwecke wurden Ueberziehmuffen mit Links- und Rechtsgewinde
angewendet. Die Gewinde waren nicht ganz bis an den Rand der
Muffen eingeschnitten, sondern endeten etwa 1 cm vor diesen, ln
diese Muffen von 3 mm Wandstärke waren U/4 mm tiefe Rillen am
Auslauf der Gewinde eingefräst, welche nach Verschraubung der
Rohre durch besonders angebrachte Zuführungslöcher mit Zinn aua-
gefüllt. wurden.
Das System erwies sich zur weiteren Einführung nicht geeignet.
Die Leitungen, einem dauernden Druck ausgesetzt, konnten nur mit
gröfster Sorgfalt dicht erhalten werden.
Der außergewöhnlich hohe Druck auf die Flüssigkeitssäulen
brachte noch eine merkwürdige Erscheinung zu Tage. Es konnte
unter einem Fahrzeuge — ja selbst unter einer Locomotive — eine
Weiche umgestellt werden, selbst wenn die Räder auf einer Weichen
zunge lasteten. Der Wasserdruck schob langsam und sicher die
Maschincnachse mit der Zunge zur Seite und mehr als eine Ent
gleisung war darauf zurückzuführen.
Mittlerweile war bei den Stellwerken für Rohrgestänge- oder
Drahtzuganlage die wichtige Erfindung der End-Ausgleichvorrichtung
mit Spitzenverschlufs gemacht. Es wurde nun versucht, diese Erfin
dung auf die Waaserdruck-Stellwerke nutzbar zu übertragen, weil
sich damit zunächst der nicht unbedenkliche elastische Weiehenver-
schlufs beseitigen liefs, Man ging so weit, den Kraftsammler ganz
zu beseitigen, und suchte dfen Vortheil der Anwendung von Flüesig-
keitssäulen als Leitungen allein darin, ein durchaus unelastisches
Material zu besitzen, welches vermöge dieser Eigenschaft eine be
sonders sichere Weichenbedienung versprach. Dabei wurde aller
dings — vielleicht zunächst unbewufst — ein Hauptvortheil der
Wasserdruck-Anlage preisgegeben. Der Stellwärter verfügte jetzt
nicht mehr über eine Kraft, die er nur zu entfesseln und zu leiten
brauchte, sondern er mufste durch eigene Kraft das Stellwerk be
dienen, wie bei jeder mechanischen Anlage.
Es ist klar, dafs eine solche Anordnung nur dann Erfolg ver
sprach, wenn die gewählte flüssige Leitung gegenüber dem festen
Gestänge oder dem geschlossenen Drahtzuge erhebliche Vorzüge
besafs, namentlich, wenn sie billiger zu beschaffen und zu unter
halten war. Diese Annahme traf nicht ztt und damit scheiterte auch
das sogenannte Niederdrucksystem. Dasselbe bildete gewissermafsen
den Abschlufs der deutschen Versuche und scheint die meiste Ähn
lichkeit mit den neueren nordamericanischeu Einrichtungen zu be
sitzen.
Der Zweck des Wasserdruck-Stellwerkes wurde jetzt dahin zu-
sammengefafst, dafs das Stellen von Weichen von einem Punkte aus
unter Anwendung von. Flüssigkeitssäulen zur Druckübertragung er
möglicht werden sollte, dergestalt, dafs für jede Weiche zwei Flüssig-
kcitssäulen in unterirdisch liegenden Rohrleitungen vorhanden sind,
welche abwechselnd den von dem Stellhebel unter Vermittlung von.
Kolben auf sie ansgeübten Druck auf die an der Weiche befindlichen
Kolben übertragen und so die Umstellung bewirken, während die
zurückkommende Flüssigkeit in der jeweilig nicht unter Druck
stehendeh Leitung den zugehörigen Kolben im Stellwerk in dem
Mafsc rückwärts stöfst, wie die Weichenzungen sich bewegen, was
zur genauen Ueberwachung der Weichenbewegung am Stellwerk be
nutzt wird. Der sichere Schlufs der Weiche wird durch einen
passend gestalteten Curveuschub bewirkt. Abb. 12 giebt eine Dar
stellung des wichtigsten Werktheiles dieses neuen Systems, zu dessen
Erläuterung nichts weiter hinzugefügt zu werden braucht.
Bei Fortfall des Kraftsammlers kommt eB nur noch darauf an r
die Einrichtung so zu treffen, dafs die Flüssigkeitssäule, welche die
Weichenumstellung bewirkt hat, vollständig abgeschlossen bleibt,
während die nicht abgeschlossene Leitung mit einem Flüssigkeits
behälter durch eia feines Röhrchen verbunden sein mufs, um allmäh*;
lieh eintretende Verluste auszugleichen. —
Nach den jetzt im Auslande empfohlenen Neuerungen werden
die bei uns gemachten Erfahrungen nicht nur dazu beitragen, erstere
richtig beurtheilen zu können, sondern auch vielleicht Anregung^
zur Wiederaufnahme der Versuche geben, denn der Gedanke, den.