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Centralblatt der Bauverwaltung.
26. October 1889.
der mafsgebeuden Kreise schon anfangs für unumgänglich noth-
wendig erkannten Vervollständigung der einheitlichen Einrichtungen
im neuerstandenen deutschen Reiche schliefslich nicht fehlen könne.
Heute sind wir zwar noch nicht in der glücklichen Lage, dieses Ergeb
nis bereits als eingetreten zu verzeichnen, aber wir sehen wenigstens
mit Genugthuung, dafs die erwartete Klärung der Ansichten be
deutende Fortschritte gemacht und die endliche Regelung dieser be
deutsamen Angelegenheit erheblich an Boden gewonnen hat. Manche
Kreise, deren Urtheil bei der Entscheidung schwer in die Wagschalc
fällt und die lange Zeit theils zweifelnd, theils schmollend am Wege
standen, haben in neuerer Zeit ihre Bedenken fallen gelassen oder
halten dieselben den zu erwartenden Vortheilen gegenüber doch nicht
für überwiegend und befreunden sich mehr und mehr mit der un
aufhaltbar vorwärtsdringenderi Neuregelung der Dinge. Wir müssen
sogar sagen, dafs unsere Erwartungen theilweise übertroffen worden
sind. Wenn anfangs der Einführung einer einheitlichen Zeitrechnung
nur für das Verkehrswesen das Wort geredet wurde, weil man
die Erreichung des weiteren und besseren Zieles, nämlich der Aus
dehnung dieser Einrichtung auch auf das gesamte bürgerliche
Leben nicht erhoffen zu können glaubte und daher schon mit der
Erfüllung der berechtigten Wünsche in jenem beschrankten Umfange
zufrieden sein wollte, so stehen wir heute, wie wir mit Befriedigung
erkennen, auf dem Punkte, dafs von einer theilweisen Mafsregel
kaum noch die Rede ist und dafs selbst diejenigen Kreise, die der
Angelegenheit bisher im allgemeinen abhold gegenüber standen, heute
die Ansicht aussprechen, dafs nur durch eine ganze Mafsregel,
nämlich die Ausdehnung auf das gesamte bürgerliche Leben, die mit
der Neueinrichtung sich ergebenden Schwierigkeiten verschwinden
oder sich doch wesentlich vermindern werden.
Nach allem, was in den letzten acht Jahren, in Fachschriften
und in den Kreisen des grofsen Publicums, über diese Angelegenheit
laut geworden ist, haben wir das Empfinden, dafs wir auf einer der
letzten Stationen angekommen sind und dafs eine Entscheidung |
nicht mehr allzu lauge auf sich warten lassen wird. Wenn wir in
diesem Zeitpunkt nochmals auf die Angelegenheit zurückkommen, so
können wir zwar sachlich neues für die in unserem Sinne erhoffte
Entscheidung kaum noch beibringen, glauben aber dem Wunsche
unserer Leser zu entsprechen, wenn wir noch einmal in Kürze einen
Ueberblick über den bisherigen Verlauf der Angelegenheit geben
und wenigstens diejenigen Punkte wiederholt hervorheben, welche
bei der Entscheidung den Ausschlag zu geben bestimmt sein dürften.
Zunächst verweisen wir nochmals auf die Thatsache, dafs
gegenwärtig in Europa eine einheitliche Zeitrechnung für das Ver
kehrsleben in Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Rufsland,
Oesterreich-Ungarn, die Schweiz, Italien, Frankreich, Spanien,
Portugal, und innerhalb Deutschlands in Baden, Bayern und
Württemberg, — eine einheitliche Zeitrechnung für das gesamte
bürgerliche Leben in Großbritannien, Irland und Schweden be
steht, dafs sich diese zum Theil nun schon langjährige Einrichtung
in allen diesen Ländern nicht nur durchaus bewährt hat, sondern
dafs in Oesterreich-Ungarn, als man im Jahre 18V 4 darauf zuruck-
ging, die Öffentlichen Zeitangaben der Verkehrsanstalten wieder nach
Ortszeit zu machen, dieser Versuch sogar durchaus mifsglückte und
man auf das Drängen der 0 effentlichkeit baldigst wieder die
einheitliche Zeitbestimmung einführte. Nur in den oben nicht ge
nannten Ländern Deutschland», also namentlich in Preufaen, Sachsen,
Mecklenburg, Oldenburg, Hessen usw., wird zwar der innere Betriebs
dienst einheitlich nach Berliner Zeit geregelt, sämtliche öffentliche
Zeitangaben der Verkehrsanstalten erfolgen aber für jeden einzelnen
Ort nach seiner mittleren Ortszeit. Welche Nachtheile diese ver
schiedenen Zeitbestimmungen innerhalb jedes einzelnen der vor-
bezeichneten norddeutschen Länder, wie auch in den Wechsel
beziehungen zwischen den verschiedenen Ländern Deutschlands mit
sich führen — wozu für die Verkehrsanstaltcn noch das Daneben
bestehen der einheitlich geregelten Betriebsdienstzeit hinzukommt —,
ist vielfach, auch in diesem Blatte, eingehend erörtert worden. Wir
wollen das oft Gesagte nicht wiederholen, müssen aber von neuem
darauf hinweisen, dafs es sich bei der Beseitigung dieser Uebelstände
durch Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung nicht, wie in
manchen Kreisen angenommen zu werden scheint,' um die Beseiti
gung einer Unbequemlichkeit, sondern darum handelt, einen Zustand
der Verwirrung aufzuheben, der dem reisenden Publicum täglich
störende und verdriefsliche MifsVerständnisse und Irrungen bereitet
und in den Betrieb der Verkehrsanstalten eine stetige Quelle der
Unsicherheit und somit der ernstesten Gefahren hineinträgt. Wenn
Unfälle, die man unmittelbar auf das Nebeneinanderbestehen der
Ortszeit und der Betriebseinheitszeit zurückzuführen hätte, bisher
in größerem Umfange glücklicherweise nicht vorgekommen sind, so
kann dieser Umstand doch nicht als Beweis für die Nothwendigkeit
oder Zulässigkeit der Beibehaltung des bisherigen Zustandes gelten.
Was unter einfacheren Betriebsverhältnissen unserer Eisenbahnen
noch zulässig sein mochte, läfst sich bei dem stetig wachsenden
Verkehr und den immer verwickelter werdenden Betriebsverhältnissen
nicht mehr mit derjenigen Sicherheit in Einklang bringen, die für
Publicum wie Verkchrsbeamte die oberste Forderung bleibt. Man
hüte sich, den Bogen zu Btraff zu spannen, und warte nicht erst eine
Kraftprobe für die Unhaltbarkeit des jetzigen Wirrsals ab. —
Wenn wir zunächst Preufsen ins Auge fassen, so liefse sich hier
dadurch Wandel schaffen, dafs ebenso wie in den meisten anderen
Ländern die mittlere Ortszeit der Landeshauptstadt, also die
Berliner Zeit, wenigstens für daß gesamte Verkehrsleben, also für
Eisenbahnen, Telegraphie und Post, sowohl für den inneren Betriebs
dienst, als auch für das Publicum eingeführt würde. Falls die
übrigen deutschen Bundesstaaten damit übereinstimmten, so würde
diese Zeit auch für das gesamte Verkehrsleben Deutschlands an
genommen werden können, da die gesetzlichen Bestimmungen des
Bahnpolizei-Reglements für die Eisenbahnen Deutschlands hierzu die
Hand bieten, indem der § 20 (Abs. 2) dieses Reglements nach der
neuesten Fassung lautet: «Auf jeder Station mufs an einer dem Publi
cum sichtbaren Stelle eine Uhr angebracht seiD, welche nach der
den veröffentlichten Fahrplänen entsprechenden (Orts- oder Normal-)
Zeit gestellt ist.“
Aber auf diesem Standpunkt stehen wir jetzt nicht mehr, seitdem
die Frage wegen einheitlicher Zeitbestimmung in viel weiterem Um
fange, uamlich für die ganze Erde, in Erörterung gezogen worden
ist. Wie bereits im Jahrgang 1884 (S. 234) d. Bl. mitgetheilt, sind
sowohl von der siebenten General-Conferenz der internationalen
Gradmessungs-Commission am 15. October 1882 in Rom', als auch
von dem Weltcongrefs in Washington am 15. October 1884 Beschlüsse
gefafst worden, welche auf die weitere und allgemeinere Entwicklung
der Angelegenheit von maßgebendem Einflufs sind. Danach soll,
um die wesentlichsten hierher gehörenden Punkte nochmals hervor
zuheben, der Meridian von Greenwich als Anfang$-(Null-)Meridian
für die ganze Erde gelten und die Zeitbestimmung nach den je um
15 Grad (— 60 Zeitminuten) von einander entfernten 24 Meridianen
geregelt werden. Die Mittagsstunde jedes dieser um eine Stunde von
einander zeitlich abstehenden Meridiane soll für die Östlich und
westlich desselben (je 7*/'ÄGrad — 30 Zeitminuten) liegenden Theile
der Erdoberfläche gelten, sodafs 24 Zonen mit 24 je um eine Stunde
von einander abweichenden Einheitszeiten entstehen würden. Selbst
redend soll die Abgrenzung jedes Zonengebietes nicht durch eine
mathematische Linie erfolgen, sondern je nach Bedürfnis werden
politische oder natürliche Grenzen dafür mafsgebend sein.
Die nordamericanischen Bahnen haben einen Theil der in Rom
gefafsten Beschlüsse alsbald in Thaten umgesetzt, indem sie seit dem
18. November 1883 für ihr gesamtes Eisenbahnnetz die westlich von
Greenwich um 60, 75, 90, 105 und 120 Grad entfernten, also je um
eine Stunde von einander abstehenden Meridiane, als bestimmend
für die Zeitrechnung im inneren und äufseren Verkehrsdienst, an
genommen und diese 5 Einheitszeiten gegen die bisher dort üblichen
60 bis 70 verschiedenen Zeiten eingetauecht haben. Die Einrichtung
hat sich durchaus bewährt und auch beim Publicum solchen Anklang
gefunden, dafs inzwischen, mit ganz geringfügigen Ausnahmen, sämt
liche nordamericanische Städte diese fünf „Stundenzonenzeiten“ auch
für das gesamte bürgerliche Loben eingeführt haben. (Vergl.
Jahrgang 1887 S. 507 und Jahrgang 1888 S. 318 d. Bl.)
Würde diese Zeitbestimmung nach Stundenzonen auch für den
übrigen Theil der Erde angenommen, so würden insbesondere für
Europa drei solche Zonen entstehen, für welche der Meridian von
Greenwich selbst und die beiden östlich um 15 und 30 Grad von dem
selben entfernten Meridiane mafsgebend sein würden. Die Zone des
Meridians von Greenwich (westeuropäische Zone) würde Grofs-
britannien mit Irland, die Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien
und Portugal umfassen; die Zope des 15 Grad Östlich von Greenwich
entfernten Meridians (mitteleuropäische Zone), welcher etwa die Städte
Stockholm, Stargard, Sorau usw. berührt, würde Schweden, Nor
wegen, Dänemark, Deutschland, die Schweiz, Italien,
Oesterreich - Ungarn und Serbien umfassen, und die Zone
des 30 Grad Östlich von Greenwich entfernten Meridians (osteuro
päische Zone) das europäische Rufsland, Rumänien, Bulgarien, die
europäische Türkei und Griechenland. Der — in Schweden bereits seit
dem 1. Januar 187S für die Zeitbestimmung des gesamten bürger
lichen Lebens eingeführte,— 15 Grad östlich von Greenwich liegende
Meridian würde um 7 Zeitminuten von Berlin, um 30 Zeitminuten von
der östlichen Grenze Deutschlands und um 36 Zeitminuten von der
westlichen Grenze Deutschlands entfernt sein. In Schweden haben
die äufsersten Orte nahezu dieselben Zeitunterschiede von Stockholm,
und in den zehn Jahren des Bestehens dieser Zeitrechnung in Schweden
haben sich hieraus keinerlei Mifsstände ergeben.
Dem Beschlüsse, den Meridian von Greenwich als Null-Meridian
anzunehmen, hat sich von den europäischen Staaten allein Frankreich
nicht angeschlossen; dort liegt zur Zeit den gesetzgebenden Körper