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(Jentralblatt der Bauverwaitung.
28. September 1889.
Jahren seit 1885/86. Während sieh in der früheren Zeit nur ganz
vereinzelt ein Engländer auf die Berliner Hochschule verirrte, finden
sie sich seither alljährlich in wachsender Zahl ein. Die beiden Halb
jahre 1885/86 brachten je 2, 1886 87 bezw. 4 und 5, 1887/88 Sund 10,
und im letzten Jahre 1888/89 betrug ihre Zahl 11 und 13. Die
meisten derselben waren Maschineningenieure, andere Architekten
und Chemiker bezw. Hüttenleute, während Bauingenieure selten ver
treten waren.
Die Gesamtzahl der ausländischen Studirenden in den 8 Jahren
I (16 Halbjahren) 1881/82 bis 1888/89 beträgt 1224.
Bergamo alta.
(Schlafs.)
Besonderes Interesse erregt die Backsteinkirclie S. Benedetto,
auf halbem Wege von der Oberstadt zur Unterstadt an der Ecke
zweier Gassen gelegen (Abb. 13). Es ist eine Centralkirehe von
einfachster Anlage und geviertförmigem Grundrifs: eine Haupt
kuppel über der Kreuzung zweier gleichen Tonnen, in deren Ecken
vier Ncbenkuppeln. Neben der Kirche schaut man in ein zartes
Kreuzganghöfcheu. Das Structursystem ist bei gröfster Einfach
heit sehr gelungen zum Ausdruck gebracht. Auf den Umfassungs
mauern des ziemlich plumpen, bis zu einein umlaufenden grofsen
Hauptgesims aufgehenden Baukörpers bezeichnen Wandpfeiler mit
verkröpftem Gebälk die Breite der Hauptschiffe und begleiten die
Ecken. Ueber jeder Wand steigt ein niedriger Giebel empor, loth-
recht durch Verlängerungen der mittleren unteren Wandpfeiler, also
in Schiffbreite, getheilt und auf diesen fortgesetzten Wandstreifen
durch ein neues, wagereehtes Gesims zerschnitten, über welchem
die Giebelspitze für sich wieder in ähnlicher Weise gegliedert ist.
Die Satteldächer des Hauptkreuzes durchdringen sich und tragen
den regelmäfsig achteckigen, niedrigen Vierungsthurm mit flachem Zelt,
Beim Abstieg auf derselben Strafse, an der S. Benedetto liegt, fällt
schon von weitem die wunderliche schmiedeeiserne Bekrönung eines
Kirchthürmchens (San Carlo) auf, die sich scharf und schwarz gegen den
freien Himmel abzeichnet. Sie macht im Umrifs den Eindruck einer
grofsen Uhr in schmiedeeisernem Kranz, oben von zwei langgeschwanzten
Thieren begleitet, welche gegen ein Kreuz anstehen, unten durch Del
phine oder Füllhörner mit Bändern und Banken getragen und nach dem
Baukörper hin vermittelt. Der Gedanke, die Thurmspitze mit Rück
sicht auf den stets einseitigen Blick aus der Hauptgasse mit einem
einseitig platten Aufsatz zu versehen, dessen Umrifs dann aber mög
lichst fesselnd und anlockend sein mufste, ist überaus anregend. —
Da ich nun doch einmal den Bezirk der Oberstadt übertreten
habe, so kann ich es nicht unterlassen, wenigstens flüchtig einer
Reihe geschichtlich bedeutender Cultusbauten der Vorstädte zu ge
denken, Dahin gehören vor allem Sta. Giulia in Bonate di sotto
am Brembo, S. Tommaso in limine und S. Giorgio in Almenno di
sopra am Brembo, la Feria di S. Allessandro mit der Kirche
S. Allessandro della Croce in contrada di Pignolo und il Sto, Spirito
im Borgo S. Lionardo. Die Reihe hier entspricht etwa der Zeitfolge.
Die ersten beiden Kirchen sind in musterhafter Weise in Ostens „Bau
werke der Lombardei“ veröffentlicht. Sta. Giulia 17 ) ist durch Gio
vanni Filippo aus Novara, welcher 1528 Canonicus in Bergamo war, als
eine aus dem 6. Jahrhundert stammende Schöpfung der kunstsinnigen
Bayeratochter und Longobardenkönjgin Theudelinde, Gemahlin des
Autharich, später des AgiJulf von Turin (590—615) beglaubigt. 18 )
Sie ist eine jetzt in Ruinen liegende, dreischiffige Hallenkirche
von fünf Joelien Länge auf acht plumpen Pfeilern ohne Querschiff
mit drei halbrunden Apsiden, in den Schiffen durch spätere Um
bauten des 11. und 12. Jahrhunderts beträchtlich verändert (Be
setzung der Pfeiler mit Halb- und Ecksäulen, Einlegung der Ge
wölbe usw.), in den Apsiden und dem Ostgiebel hingegen ursprüng
lich erhalten. Letztere tragen die einzigen beschretbenswerthen
Kunstformeu, sie sind aufsen durch Halbsäulen mit rohen, aber klar
erkenntlichen korinthischen Capitellen gegliedert, auf welchen Rund-
bogenfriese über wechselnden Blatt- und Kopfkragsteinen ruhen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Construction der Sturze der
drei Thüren. 19 )
S. Tommaso, im Volksmunde „Tommö in limine“ 20 * ), ist abgebildet
bei Osten Tafel 43—46, Gally Knight I Tafel 17, Hübsch (doch nicht
zuverlässig) Bl. 54, 6—13, d’Agincourt, Tafel 24, 16—18. Sie ist
(Abb. 14 u. 15) eine kleine dreischiffige basilicale Rundkirche von
hohem Mittelraum mit Kugelkuppel, zweigeschossigem, kreuz-
gewölbtem Umgang, gestreckt rechteckigem, halbrundgeschlossenem
und ebenfalls zweigeschossigem, gewölbtem Chor, — vielleicht auf
17 ) daselbst Taf- 41 und 42, überdies bei d’Agincourt 24. 1—5,
Hübsch 53 u. 54; letzterer setzt sie, S, 115, zwischen 750 u. 900.
18 ) So auch bei Peregrinus, part. II cap. X, und Mario Lupi, cod.
dip],, während noch Kugler (II. 76) und Scnnaase (IV. 465) sie in das
12. Jahrhundert zu setzen geneigt sind.
19 ) vgl, Mothes a. a. 0. S. 235.
2°) Nach Mothes ist es kein Ortsbeiname, sondern hat die Be
deutung: „Thomas am Rande, nämlich des Grabes Mariä“, wie er
deren Gürtel empfängt; vielleicht auch nur am Ufer, will sagen: des
Brembo.
achteckiger altchristlicher Grundmauer eines Battistero, übrigens
im Typus der Heiligen-Grabeskirchen. Nach Sacelii wurde sic im
4. oder 5. Jahrhundert, 81 ) nach d’Agincourt zu Desiderius’ Zeit, nach
Osten von Theudelinde oder den Franken (wie auch Lupi, cod. dipl.
tom. 1, cap. 9, und Bianchini annehmen) etwa um 850, nach Fergusson
zwischen dem 11. und 12., nach Kugler II. S. 76, Comero S. 170,
Schnaase IV. 433, Förster I. 243 irn 12., nach Lübkc zu Ende des
12. Jahrhunderts erbaut. Der Mittelraum der Kirche ist von dem
Umgänge durch eine Stützenstellung, unten von sieben Säulen und
einem achteckigen Pfeiler, oben von acht kleineren Säulen, getrennt,
deren verschiedene Capitelle, namentlich eins mit der Darstellung
von Widderköpfen und einem Schlachtmesser, als heidnische Reminis-
ceozen auf longobardisclie Entstehung nachdrücklich hinweisen. Des
gleichen sind als longobardisch zu betrachten die Eintheilung der
Aufscnfronten durch die üblichen Halbsäulen, deren abwechselnd
attische und kegelförmige Basen Versuche von Eckknollen aufweisen,
die zugehörigen rohen Capitelle, der Fries, das Hauptgesims und die
Fensterprofile. Ein Umbau, etwa des Jahres 1100, ist an dem
Wechsel des Kämpfers auf den oberen Säulen gegen die entsprechen
den Wandpfeiler, an der Laterne (die Osten nicht mit abbildet) und
dem Chor ersichtlich. Als Absonderlichkeiten erscheinen die An
lage der Treppen zur Oberkirche in den Umfaesungswänden und
die Form der Oberfenster des Mittelraums als lateinische Kreuze.
Der ganze Bau stellt ein sehr interessantes Vorbild für Aachen,
Ottmarsheim, Fulda usw. dar.
Die Nachbarkirche S. Giorgio in Almenno 22 ) giebt wieder
den dreischiffigen Hallenkirchen-Typus, hat eine halbrunde Apsis
und kein Querschift, dagegen ist das letzte Schiffsjoch über ver
stärkten Kreuzpfeilern gewölbt. Der Bau stammt nach Mothes etwa
aus dem Jahre 950, nach Osten aus dem 11. Jahrhundert. Die Wände
des Innern sind mit sehr schönen, jetzt aber sehr zerstörten Fresken
des 14. Jahrhunderts aus dem Leben des heil. Georg bedeckt.
An Alter dieser Kirche mindestens gleich steht die merkwürdige
Stiftung des Bischofs Adalbert von Bergamo vom Jahre 908: der
neuntiigige Markt, la feria di S. Alessandro im Borgo S. Lionardo
mit den zugehörigen Baulichkeiten der Kirche S. Alessandro della
Croco in. via Pignolo und den massiven Verkaufshäusern. Der Markt
selbst wird noch heut in jedem August oder September abgehalten,
hat aber seine Bedeutung längst verloren. Die Stiftungsurkunde
trägt unter 26 Unterschriften nicht weniger als 21 deutsche Namen.
Die Kirche ist mehrfach umgebaut und wiederhergestellt und bietet
wenig Bemerkenswertheft. Auch die jetzigen, etwa 600 Läden fassen
den massiven Marktgebäude dürften, nach Mothes, infolge einer gründ
lichen Erneuerung des vorigen Jahrhunderts kaum noch Theile der
alten Anlage sichtbar aufweisen. Der Mefsplatz besteht in einer nahezu
geviertförmigen Ebene von ungefähr 150 m Seitenmafs am Eingänge
der Unterstadt nahe dem Bahnhofe. Rings ist er umschlossen durch
eine den Rücken nach aufsen wendende Budenreihe, welche nur in
jeder Geviertseite dreimal durch Gitterthore unterbrochen wird. Innen
bilden 4 x 8 == 32 doppelseitige Einzelreihen drei Haupt-, sieben
Quergassen und eine Ringstrafse von geringer Breite und eintönigem
Gepräge. Manche, Reihe hat ein zweites, bewohntes Stockwerk. Den
Mittelpunkt der Anlage bildet ein freies Plätzchen, auf welchem im
Schatten weniger betagter Bäume einige Bänke um eine kleine Wasser
kunst stehen. Der Eindruck der ganzen Anlage ist so eigenartig, dafs
es sich für den Besucher Bergamos wohl verlohnt, ihren Bauten eine
besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Die noch zu erwähnende, der Feria sehr nahe belegene einschiffige
Frührenaissance-Kirche S. Spirito ragt hervor durch den erstaun
lichen Reichthum und die vorzüglichen Verhältnisse ihrer Innen
architektur. Jakob Burckhardt bezeichnet die Bogen- und Säulen-
stellung, welche ihre Capellen einfafst, als eines der schönsten
Beispiele der in Oberitalien bis ins 16. Jahrhundert festgelialtenen
Frührenaissance.
Von den vielen vorhandenen beachtenswerthenPrivathäusern,
namentlich aus dem Ende des 15. und Anfänge des 16. Jahrhunderts,
finden sich in Paravicinis „Renaissance der Architektur“ veröffent-
21 ) Weil die Longobarden keine Centralkirchen geschaffen hätten (!)
(Ricci), und doch hatten sie eine besondere Vorliebe dafür (Gally
Knight).
**) Osten, Abb. Taf. 47. 48.