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Centralblatt der Bauverwaltang.
Nach dieser kurzen Unterbrechung nahm Boetticher trotz der
gesteigerten Lehrthätigkeit die Studien zur Fortsetzung seines Werkes
mit erneuter Kraft auf, doch verzögerte die Gröfse der Aufgabe und
eine nochmalige längere Unterbrechung den Abschlufs der Arbeit
auf Jahre hinaus. Mit jeder erneuten Untersuchung der alten Denk
mäler, mit jeder neuen Veröffentlichung darüber wuchs der Umfang
des zu bewältigenden Stoffes, wobei Boetticher freilich die Genug-
thuung hatte, dafs immer mehr von dem, was er ohne thatsäehliclie
Beweise aus inneren Gründen als ursprünglich vorhanden bezeichnet
hatte, durch fortgesetzte Aufdeckungen und genauere Untersuchungen
seine Bestätigung in den Denkmälern fand, wodurch die Ueberzeu-
gung von der Dichtigkeit seiner Lehre nur immer mehr in ihm selbst
befestigt und auch mancher noch
zweifelhafte Anhänger mit Gewjfsbeit
erfüllt wurde.
Schon bei dem Forschen nach
deni Ursprünge und der Bedeutung
der Kunstfonnen des griechischen
Tempels war Boetticher auf die Frage
nach der Zweckbestimmung der ein
zelnen Räume gestofsen. Gewöhnt,
nichts halb zu thun, sondern überall
den Dingen auf den Grund zu gehen,
widmete er seine Studien zunächst
dieser Frage und damit zugleich dem
gesamten griechischen und römischen
Alterthum. Als Ergcbnifs dieser
Forschungen erschien, den eigent
lichen Gang seines Werkes unter
brechend, das, was eigentlich den
Schliffs desselben bilden sollte, im
Jahre 1849 als zweites Buch der Tek
tonik: „Der Hellenische Tempel in
seiner Raumanlage für Zwecke des
Cultus”, mit welchem Boetticher sich
ganz als Archäologe einführte, was,
abgesehen von einigen kleineren
Streitschriften, in noch höherem Mafse
geschieht mit dem schon jetzt vor
bereiteten, aber erst im Jahre 1856
erschienenen besonderen Werke: ..Der
Baumcultus der Hellenen.“
Eine neue Unterbrechung seiner
wissenschaftlichen Thätigkeit brachte
Boetticher das Revolutionsjahr 1848.
Voll aufrichtiger Hingabe an das Haus
Ilohenzollern, glaubte er dem Rufe des
Königs folgen zu müssen und trat, da er
nie Soldat gewesen war, als Recrut in
das 35. Landwehr-Regiment ein, dem
Exercierdienst mit demselben Eifer ob
liegend, wie bis dahin dem Studium
der Kunst und des Alterthums, sodafs
er beim Beginn des Feldzuges in Baden
zum Officier befördert wurde. Etwa
gleichzeitig erhielt er die Nachricht von
seiner Ernennung zum ordentlichen Mit-
gliede der Akademie der Künste.
Welche Gründe den 42jährigen Professor zu einem derartigen
Schritte veranlassen konnten, ist schwer zu sagen. Es ist kaum zu
bezweifeln, dafs neben seiner patriotischen Gesinnung auch seine
unbefriedigenden häuslichen Verhältnissc dabei mitgewirkt haben.
Daneben mag er gerade zu jener Zeit, nachdem er die Hauptarbeit
zu seinem Werke — gewifs unter den gröfsten Anstrengungen —
beendigt hatte, Verlangen getragen haben, die Bücher von sich zu
werfen und Erholung in einer ganz anders gearteten Thätigkeit zu
suchen, denn er schreibt an Lohde, dafs das Exereieren ihm sehr
wohl bekomme, dafs er mit den jungen Offfeieren wieder jung werde
und recht fühle, wie wohl es ihm tlxue, den Bücherstaub für einige
Zeit von sich abzuschütteln.
Erst im März 1850 nach vollständig beendigtem Feldzuge kehrte
Boetticher nach Berlin zurück; doch erst, im Jahre 1857 nahm er den
Abschied von der Fahne. Dafs er sofort nach beendigtem Dienste
mit seiner Lehrthätigkeit auch seine wissenschaftlichen Arbeiten
wieder aufnahm, ist selbstverständlich. Er vollendet nunmehr im
Jahre 1851 seine Tektonik durch die Bücher „Jonika“ und „Korin-
thiaka“, und im Jahre 1852 erscheint das Ganze als ein einheitliches
Werk zusammengefafst, dessen viertes Buch „Der Tempel . .bildet,
während die Tektonik der Thür- und Fensterformen, sowie die Re-
cension der Monumente einer späteren Auflage Vorbehalten bleibt,
■deren Herausgabe Boetticher schon jetzt ins Auge fafst.
Schon bei dem Erscheinen des ersten Theils der Tektonik im
Jahre 1843 war Boetticher zum Mitgliede des Instituto di corrispon-
denza archeologicä in Rom ernannt worden. Die Vollendung des
Werkes trug ihm neue Ehren von Seiten der Gelehrtenwelt ein. Zu
nächst promovirte ihn im Jahre 1853 die Universität Greifswald zum
Doctor philosophiae honoris causa. In der Folge wurde er (1860) zum
Correspondenten für die historisch-philologische Klasse der Königl.
Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen, 1866 zuin Mitgliede der
Königl. Akademie der bildenden Künste in Amsterdam und endlich
irn Jahre 1877 zum Ehrenmitgliede des Vereins zur Beförderung des
Gewerbfleifses in Preufsen ernannt.
Demgegenüber erscheinen die Auszeichnungen, welche ihm von
Seiten des preufsischen Staates zu
Theil wurden, recht geringfügig. Erst
im Jahre 1877 bei seinem Austritt aus
dem Dienste erhielt er den Rothen
Adler-Orden III. Klasse. Den im Jahre
1853 ihm angebotenen Bauraths-Titel
hatte er abgelehnt. Boetticher hat
sich niemals um äufsere Anerkennung
bemüht oder Verlangen danach ge
tragen. In dem Bewufstsein, die über
nommenen Pflichten erfüllt und der
Welt genützt zu haben, fand er seine
volle Befriedigung.
Im Jahre 1853 eröffnete Boetticher
als Privat-Doeent an der Universität
Vorlesungen, welche er bis 1862
fortsetzte und die von Architekten
und Archäologen üeifsig besucht
wurden. Seine Vorträge über Tektonik
an der inzwischen zur Bauakademie
umgestalteten und gewaltig augewach-
sCnen Bauschule hat. er nach seiner
Rückkehr vom Militärdienste nicht
wieder aufgenoinmen. Desto eifriger
.widmete er sich dem Unterrichte im
Ornament-Zeichnen und Erfinden an
dieser Anstalt wie an der Kunst
akademie, und hierin hat er mit grofsem
Erfolge gewirkt, indem er alles neu
geschaffen hat: die Art der Dar
stellung, die Vorbilder und die Methode
des Unterrichts. Die von ihm neben
der einfachen Umrifszeichnung mit dem
Bleistift eingeführte Art der Dar
stellung mit dem Pinsel in abgesetzten
Tönen, sowohl nach dem Vorbilde wie
nach dem runden Körper, hat wegen
der Schnelligkeit und der Sicherheit des
Erfolges so allgemeine Anerkennung
gefunden, dafs sie fast in allen Zeichen-
schulen des In- und Auslandes einge
führt ist An brauchbaren Vorbildern
fand Boetticher aufser seinem Orna-
mentenbuehe fast nichts vor und es
war eine seiner ersten Aufgaben, eine
Sammlung derselben neu zu schaffen
durch Herausgabe der „Architektonischen Formenschule“ und der
„Vorbilder für Ornament-Erfindungen“. Aufserdem aber schuf er im
Laufe der Jahre eine Sammlung von Vorbildern als unmittelbare
Früchte des Unterrichts, welche nicht in den Buchhandel kamen,
sondern als Eigenthum der Bauakademie von dieser nur an andere
Lehranstalten und Bibliotheken abgegeben wurden und als ein Schatz
von schönheitsvollen Erfindungen noch jetzt überall als hochwillkom
menes Studienmaterial dienen. Diese Blätter wurden von den fähigeren
Schülern nach Boettichers Andeutungen aufgetragen und unter seiner
beständigen Einwirkung ausgeführt, sodafs die Erfindung das voll
ständige Eigenthum des Lehrers blieb, die Ausführung aber bis auf
geringe vorbildliche Hülfe durch die Hand des Schülers erfolgte. Da
diese Erfindungen nicht etwa von Boetticher zu Hause vorbereitet
waren, sondern von Anfang an während des Unterrichts entstanden,
so machte der Schüler den ganzen Gang der Erfindung mit durch
und wurde hierdurch zu eigener Thätigkeit angeleitet, ein Verfahren,
welches auch seine Nachfolger im Unterrichte beibehalten haben.
Unter den auf diesem Wege entstandenen Vorbildern nehmen die
farbigen Decorationen einen besonders hohen Rang ein und müssen
wegen der ebenso harmonischen wie kühnen Uebereinanderstellung
kräftiger Farbentöne geradezu ,als mustergültig bezeichnet werden.
Aber nicht auf die Unterrichtstunden allein beschränkte sich
Boettichers Lehrthätigkeit. Unter der iibergrofsen Zahl seiner Schüler
Abi). 7. Cappella Colleoni.
Einzelheit, der llauptfront.
Bergamo alta.