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Centralblatt der Bauverwaitung.
81. August 1889.
an äufseren Glücksgütern nicht mangelte. Dennoch war die Jugend
unseres Karl wenig freudvoll, da der Vater strenge und heftig war,
und eigentlich nur die erste, jung und kinderlos verstorbene Stief
mutter ein Verständnifs für des Knaben früh hervortretende künst
lerische Neigungen hatte. Schon vom neunten Jahre ab spielte er
die Geige; daneben verrieth er ein ungewöhnliches Talent zum
Zeichnen, weshalb es sein Wunsch war, Maler zu werden. Dem
widerstand jedoch der etwas prosaisch gesinnte Vater; derselbe hatte
aber gegen die Wahl des Baufaches, als eines mehr praktischen Be
rufes, nichts einzuwenden. Karl trat daher, nachdem er die Oher-
Seeunda des Gymnasiums seiner Vaterstadt durchgemacht hatte, im
17. Jahre in das Bureau des dortigeu Bauinspectors Bosse zur prak
tischen Vorbereitung auf die späteren Prüfungen. Nach einer mehr
als dreijährigen, recht trockenen und haudwerksmäfsigen Lehrzeit
begab er sich nach Erfurt, um sieh auch theoretisch auf die erste
der damals vorgeschriebenen Prüfungen, die als Feldmesser, vor-
zubereiten, welche er im Februar 1827 bestand.
Hier in Erfurt hatte Boettieher einer grüfseren Freiheit genossen
und in rasch erworbenem Freundeskreise frohe Tage verlebt; aber
die Thätigkeit eines Feldmessers konnte ihm keine Befriedigung ge
währen. Er sehnte sich danach, endlich die bei der Wald seines
Berufs ersehnte künstlerische Ausbildung zu erwerben, während der
Vater verlangte, dafs er gleich anderen Jüngern des Baufaches die
neue erworbene Fertigkeit zum Gelderwerb ausnutzen sollte. Schon
hier zeigte sich unseres Boettiehers im späteren Leben so vielfach
bewiesene Festigkeit des Willens, die an dem einmal als richtig Er
kannten trotz aller Hindernisse festhielt. Auch die Erklärung des
Vaters, dafs er die ihm bis dahin gewährte Geldunterstützung nur
noch für ein Jahr fortzahlen werde, schreckte Boettieher nicht zurück.
Er siedelte uaeh Berlin über mit der sicheren Aussieht, seine Zeit
zwischen künstlerischen Studien und Arbeiten für den Lebensunterhalt
theilcn zu müssen.
In Berlin hatte Schinkel im Verein mit geistesverwandten Bild
hauern und Malern, und unterstützt von dem ebenso kunstsinnigen
wie praktischen Beuth, ein neues reges Kunstleben heraufgeführt. In
diese ihm ganz neue Welt trat der junge Boettieher ein, mit Be
geisterung in ihr aufgehend. Seine lebhafte Natui', sein Lerneifer
und seine reiche Begabung erwarben ihm bald einen grofsen Kreis von
Freunden, von welchen unter den Architekten nur Lohde, Strack,
Gustav Stier und dessen um 6 Jahre älterer Vetter, Wilhelm Stier,
genannt sein mögen. Am innigsten verbunden mit Boettieher war
und blieb Ludwig Lohde, der durch ein vorhergegangenes Studium
auf der Universität an wissenschaftlicher Bildung unter den Genossen
hervorragte und ebenso mild und nachgiebig, wie Boettieher energisch
und willensfest war, sodafs beider Naturen sich ergänzten. Beide
verband die gleiche Begeisterung für die Kunst und die gleiche, durch
Schinkels Bauwerke erweckte Liebe der Antike. Lohde war ebenso
sehr Studiengenosse wie Schüler Boettiehers und blieb bis zu seinem
im Jahre 1875 erfolgten Tode in inniger Freundschaft mit ihm ver
bunden, schriftstellerisch und lehrend für die von Boettieher in seiner
Tektonik verkündeten Lehren unermüdlich cintretend.
Jn den damals neu begründeten Architekten-Verein trat Boettieher
erst im Jahre 1833 ein, um dann Jahre lang eines seiner einflufs-
reichsten Mitglieder zu sein.
Aber nicht mit Architekten allein, sondern auch mit den Jüngern
anderer Künste trat Boettieher in freundschaftliche Beziehungen, so
namentlich zu Drake, Daege, Meyerheim, Ilopfgarten und Liideritz,
Mitgliedern des jüngeren Künstler-Vereins, in welchen er ciutrat,
ebenso wie später in den älteren Künstler-Verein, von dessen Mit
gliedern namentlich Wach und Begas, Kloeber und Ilensel und der
Maler und Dichter Kopisch ihm nahe standen.
Die Umgebung, in welcher Boettieher aufgewachsen war, hatte
ihn auf die romantische Kunst und Poesie hingewiesen. Die Archi
tektur des Mittelalters hatte er an den Denkmälern seiner Vater
stadt und auf zahlreichen Ausflügen in die Umgegend, wie später in
Erfurt kennen und schätzen gelernt. Die Antike war ihm bis dahin
fremd geblieben. Hier in Berlin wurde ihm durch Schinkels, Tieks
und Rauchs Werke der Geist des klassischen Alterthums er
schlossen, dem er sich sogleich mit ganzer Seele hingab. Das
schönste Bauwerk Schinkels, sein im Jahre 1828 vollendetes Museum,
wurde im Jahre 1830 eröffnet. Der Eindruck, den dieser Bau
und sein reicher Inhalt an Meisterwerken der antiken Plastik auf
die empfängliche Seele des kunstbegeisterten Jünglings machte, war
ein gewaltiger. Schon in jener Zeit erwuchs in ihm der Gedanke,
in den Geist dieser ihm fremden Formenwelt einzudringen und zu
gleich das althellenische Leben zu ergründen, worüber die damals
vorhandene Littcratur nur wenig Aufschlufs gab. Aber die Noth-
wendigkeit, neben seinen Studien zugleich dem Erwerb zu leben, liefs
ihn, wie bei allen seinen Unternehmungen, so auch hierbei nur
langsam und auf Umwegen zum Ziele gelangen.
Die persönliche Bekanntschaft Schinkels hatte Boettieher bereits
im Jahre 1829 gemacht, als er, von einer Studienreise über Branden
burg durch die Altmark zurückgekehrt, dem Meister die gewonnenen
Aufnahmen vorlegte. Schinkel erkannte sofort das bedeutende Zeichen
talent Boettiehers und den feinen Sinn, mit welchem er die Gegen
stände für die Darstellung auszuwählen verstand. Namentlich er
regten die farbigen Darstellungen von mittelalterlichen Kirchen-
gewändom und Altardecken seine Aufmerksamkeit. Er veranlafste
daher Beuth, welcher damals mit der Herausgabe des grofsen Vor
bilderwerkes für Fabricanten und Handwerker beschäftigt war, diese
Blätter für das Werk zu erwerben. Beuth stellte hierbei dem jungen
Architekten die Bedingung, dafs er selbst seine Zeichnungen auf den
Stein Überträgen müsse, worauf derselbe bereitwillig einging, indem
I er zunächst (iin Jahre 1830) die ihm bis dahin fremde Kunst des
Lithographirens erlernte und die geforderten Steine zur vollsten
Zufriedenheit hörstellte.
Nachdem Boettieher einmal diese neue Technik erlernt hatte, hat
er sie auch weiter auszunutzen verstanden durch Herausgabe anderer
Aufnahmen und seiner eigenen Erfindungen. Auf einer zweiten
Studienreise durch die Mark Brandenburg, den Harz und Thüringen
hatte er eine Auswahl besonders interessanter Details alter Holz
bauten gesammelt, welche er unter dem Titel: „Die Holzarchitektur
des Mittelalters" in (len Jahren 1835 bis 1844 veröffentlichte.
Zu gleicher Zeit beschäftigte er sich mit der Herausgabe seiner
ersten eigenen Erfindungen „des Ornamentenbuchs — als Vorbilder
für Architekten und Zimmermaler- 4 in den Verlagsbuchhandlungen
von Reimer, Gropius und Gerstäcker, wovon die ersten Hefte bereits
im Jahre 1834, die übrigen zehn Jahre später erschienen. Während die
ersten Hefte von Boettiehers damaligem, noch mangelhaftem Ver
ständnisse der Antike zeugen, sodafs er sie später kaum anerkennen
wollte, verrathen die übrigen den gereiften Künstler. Alle aber lassen
seine Eigenart und Selbständigkeit erkennen, welche auch da noch,
wo er sich unmittelbar an antike Vorbilder anlehnt, seine Schöpfungen
als Originale erscheinen lassen. Wenn man den damaligen Mangel
an Quellen und die geringe Kenntnifs selbst des antiken Ornaments
erwägt, so mufs man über die Fülle des in diesem Erstlingswerke
gebotenen Neuen erstaunen.
Diese Veröffentlichungen neben zahlreichen, für den Lebensunter
halt gefertigten kunstgewerblichen Entwürfen hatten die Aufmerksam
keit weiterer Kreise auf Boettieher gelenkt, und schon kamen von
verschiedenen Seiten Aufforderungen an ihn, Unterricht in seiner
Kunst zu ertheilen, worauf er natürlich einging. Im Jahre 1833 ge
wann ihn die Königl. l’orcellan-Manufactur zum Entwerfen von Ge-
filfscn und ihren Deeorationen, sowie zur Unterrichtsertheilung an
der mit der Fabrik verbundenen Malerschule. Nachdem er durch
seine emsige Thätigkeit auch der materiellen Sorgen überhoben war,
gründete er auch einen eigenen Hausstand durch die im Jahre 1832
vollzogene Vermählung mit der Schwester eines Freundes. Dieser
aus edelster Gesinnung, aber in jugendlicher Uebereilung gethane
Schritt sollte nicht zu seinem Heile aussehlagun, da es den Gatten an
der erforderlichen Harmonie der Seelen fehlte. Erst die nach neun
jähriger Ehe erfolgte Geburt eines Sohnes füllte in etwas die Leere
des häuslichen Lebens aus.
Die innere Befriedigung, welche das Haus ihm versagte, suchte
und fand der thatkräftige Mann in der Arbeit. Mit der ganzen
Leidenschaftlichkeit seiner Seele warf er sich auf das Studium der
antiken Kunst und der Culturgeschichte. Stets gewöhnt, in allen
Fragen nach dem letzten Grunde zu forschen und vor keiner Schwierig
keit zurückschreckend, nahm er das auf dem Gymnasium nicht er
schöpfend betriebene Studium der alten Sprachen von neuem auf, um
aus den Originalen der alten Klassiker selbst die Wahrheit zu schöpfen
mit der bestimmten Absicht, die Ergebnisse seiner Forschungen in
einem eigenen grofsen Werke niederzulegen. Aber nur langsam konnte
er hierbei vorwärts schreiten, da er nur die Abendstunden dem
Studium widmen durfte, während der Tag der Arbeit und der Sorge
um die Erhaltung des Hausstandes gehörte.
In seiner Sorge um die Hebung der vaterländischen Industrie
hatte Beuth das Gewerbe-Institut gegründet, welches später als Ge
werbe-Akademie mit der neuen polytechnischen Hochschule verbunden
worden ist. Als einer der Ersten, welche die Bedeutung des Kunst
gewerbes für den Nationalwohlstand erkannten, wünschte derselbe im
Jahre 1834 Boettieher als Lehrer für die mit dem Institute verbundene
Dessinateurschule zu gewinnen. Da auf dieser Schule vorzugsweise
Weher ihre Ausbildung suchten, so war es nöthig, dafs er die
Technik des Webens erlernte. Auch vor dieser neuen Aufgabe, so
fern sie auch seiner eigentlichen Thätigkeit und seinem ganzen Ge
dankenkreise lag, schreckte Boettieher nicht zurück. Gelegenheit
dazu bot ihm der Seidenfabricant Gropius, welcher den talentvollen
jungen Künstler bereits kennen und schätzen gelernt hatte. In die
Fabrik dieses Mannes trat Boettieher als Weberlehrling ein, mit regem
Eifer sich auch dieser Technik widmend. Bald aber wurde aus dem
Lehrling ein Mitarbeiter, indem er Entwürfe für die io der Fabrik