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Centralblatt der Bauverwaltung.
10. August 1889.
Freunde deT Berliner Baugeschichte erlaube ich mir bei dieser
Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen, dafs für kurze Zeit fünf
Bände von Handzeichnungen aus dem Anfang dos 18. Jahr
hunderts in der Bibliothek des Berliner Kgl. Kunstgewerbe-
Museums zur Ansicht ausliegcn, welche der Kgl. öffentlichen
Bibliothek in Dresden gehören. Vier derselben entstammen
wahrscheinlich dem Nachlasse des Architekten Zacharias Longue-
lune, des Freundes und langjährigen Mitarbeiters de Bodts. In
ihnen finden sich Entwürfe von de Bodt und anderen für Berliner
Paläste Und Kirchen, für die Triumphbögen, die zum Einzuge
König Friedrichs I, 1701 in Berlin errichtet wurden, ferner Fest
bauten für das Zeithainer Lustlager, welche die Zusammenkunft
König Friedrich Wilhelm I. mit König August dem Starken feiern,
und dergl. Von besonderer Schönheit sind einige Studien nach
Perraults Triumphbogen für König Ludwig XIV. und noch anderen
Pariser Bauten, welche beweisen, dafs de Bodt, wenn er gleich nicht
Blondeis unmittelbarer Schüler gewesen sein kann, doch völlig von
der Pariser Schule abhängt. Der sechste Band enthält Entwürfe
Pöppelmanns für ein von König August geplantes Schlofs in
Dresden, aus dem sich später die Zwingeranlage heraus entwickelte.
Die grofsartigen Zeichnungen lassen einesteils die Meisterschaft
Pöppelmanns erkennen, anderntheils, dafs er am Berliner Schlofsbau
die Anregung zu seinem Schaffen fand. Weitere Mittheilungen über die
sehenswerthen Bände behalte ich mir vor und erlaube mir nur der
Direction der Königlichen öffentlichen Bibliothek in Dresden meinen
Dank für die Vorlage der Bände auch an die Berliner Fachleute hier
mit auszusprechen. Cornelius Gurlitt.
Dr. H. v. Bitgen +. Der kurzen Meldung von dem Heimgange
v. Ritgens in der vorigen Nummer dieses Blattes lassen wir die nach
stehenden Notizen über den Lebensgang und das Wirken des Ver
storbenen folgen. Hugo v. Rltgen wurde am 3. März 1811 in Stadt
berge bei Medebach in Westfalen geboren. Seine Studien waren
nach dem Vorbilde seines Vaters, des Professors der Medicin v.
Ritgen in Giefsen, zunächst auf die Heil- und Naturkunde gerichtet,
doch wandte er sich nach dreijähriger Beschäftigung mit diesen
Wissenschaften, seinen schon in frühem Alter hervorgetretenen
Neigungen folgend, der Baukunst zu. Seine Lehrer wurden vornehm
lich Möller in Darmstadt, Hittorf und Duban in Paris sowie
Ohlmüller und Klenze in München. Nach Beendigung ausgedehnter
Studienreisen iin ln- und Auslande, und nachdem er 1833 in der
philosophischen Facultät die Doctorwürde erlangt hatte, erhielt er im
folgenden Jahre die Aufforderung, in Giefsen Vorlesungen über bau
technische Wissenschaften zu halten. 1838 wurde er aufserordent-
licher, 1843 ordentlicher Professor der Architektur an der dortigen
Universität. Als die Lehrstühle für Baukunst und Ingenieurwissen-
schaften im Jahie 1874 von Giefsen an die technische Hochschule in
Darmstadt verlegt wurden, zog es Ritgen vor in ersterer Stadt zu
bleiben und daselbst die ihm angetragene Professur für Kunstwissen
schaft zu übernehmen. In dieser Stellung hat er bis an sein Lebens
ende mit unermüdlichem Eifer und voller Hingabe an Beinen Beruf
gewirkt, Und bei mehreren Jubiläen, die ihm in den letztvergangencn
Jahren zu erleben vergönnt war, trat es sichtlich zutage, welch grofse
Schülerzahl durch ihn fruchtbare Anregungen empfangen hat.
Neben seiner Lehrthätigkeit hat v. Ritgen aber auch als prak
tischer Baumeister eine erfolgreiche Wirksamkeit entfaltet, und ist
es auch kein grofses Schaffensgebiet, aus dem er nunmehr geschieden
ist, so läfst dieses doch eine eigenartige Persönlichkeit erkennen und
hat ihn in weiten Kreisen rühmlichst bekannt gemacht. Mit be
sonderer Vorliebe wandte er sich schon frühzeitig, wohl angeregt
durch seinen Lehrberuf, der Frage der Wiederherstellung vater
ländischer Baudenkmäler und insbesondere der Erforschung und Er
haltung der deutschen mittelalterlichen Profanbauten zu. Die Wieder
herstellung einer gröfseren Zahl von Burgen und Schlofsbauten in
Mitteldeutschland — es seien nur die Schlösser Braunfels und in
Laubach, die Burgen Staufenberg und Gleiberg bei Giefsen genannt
— ist mit seinem Namen verknüpft; aber auch das Hauptwerk seines
Lebens liegt auf diesem Gebiete: die Wiederherstellung der Wart
burg in den Jahren 1847—1886. Schon 1846 war v. Ritgen in einer
auf der Wartburg abgebaltenen Architekten-Versammlung neben
dem damals mit Erncuerungsplanen für diese Burg beschäftigten
späteren preufsischen ConBervator v. Quast für die Wiederherstel
lung der Burg ira Geiste ihrer Hauptentstehungszeiten eingetreten.
Seinen Gedanken, unter möglichster Anlehnung an Vorhandenes die
Haupttheile der Feste in den Bauformen der Zeit des Sängerstreites
einerseits und der Tage Luthers andererseits wieder erstehen zu
lassen, legte er im folgenden Jahre in einem Entwürfe nieder, welcher
nicht nur auf der damaligen Architektenversaminlung in Mainz all
gemeine Anerkennung, sondern auch die rückhaltlose Zustimmung
v. Quasts fand und demnächst durch den hohen Bauherrn zur Aus
führung bestimmt wurde. Wie diese Ausführung erfolgt ist, darf als
jedem Architekten bekannt vorausgesetzt, werden, sie ist, mögen
strenge Stilkritiker sich nicht mit allen Einzelheiten einverstanden
erklären, ein Werk, welches allein schon geeignet ist, v, Ritgens
Namen dauernd im deutschen Volke lebendig zu erhalten.
In weiterer Bethätigung seiner Bestrebungen um die Wieder
erweckung und Erhaltung deutschen Kunstgeistes trat v. Ritgen
unter die Zahl der Begründer des Germanischen Museums in Nürn
berg, zu dessen Verwaltungsrath und Gelehrten-Ausschufs er gehörte-
Auch war er lange Jahre Vorsitzender des Oberhessischen Geschichte-
vercins und des Gewerbevereins in Giefsen. Das bauliche Schaffen
des Verstorbenen erstreckte sich noch auf mehrere Kirchenumbauten,
eine Reihe von Wohn- und Landhäusern und sonstigen Privatbauten,
meist in und um Giefsen, sowie auf die Erfindung und Ausführung
mehrerer Bauwerke auf Friedhöfen, unter denen wir hier nur er
wähnen sein in schlichten dorischen Formen erbautes Erstlingswerk,
die städtische Leichenhalle auf dem Giefsener Friedhofe und eben
daselbst, einige wenige Schritte von seinem eigenen Grabe, den eigen
artigen architektonischen Aufbau der Begräbnisstätte der Familie
Gail, ein reiches und edles Werk seiner letzten Jahre.
Auch schriftstellerisch war v. Ritgen mehrfach thätig. Neben
einer gröfseTen Zahl von Golcgcnheitsschriften, Universitätspro
grammen, Aufsätzen in Zeitschriften usw. sind Bein „Führer auf der
Wartburg“ und eine leider nicht zum Abschlüsse gelangte Veröffent
lichung über das deutsche Wohnhaus anzuführen. Die Herausgabe
eines umfangreichen Werkes über die Wartburg mufste wegen der
zu grofsen Höhe der Herstellungskosten unterbleiben.
Dafs es einem solchen Manne nicht an äufseren Anerkennungen
jeder Art fehlte, bedarf kaum der Erwähnung; nachgetragen sei in
dieser Beziehung, dafs v. Ritgen im Jahre 1854 Grofsherzogl. sächsischer
Ilofbaurath, 1873 Grofsherzogl. hessischer Geheimer Baurath und 1886,
bei Gelegenheit »eines 50jährigen Dienstjubiläums, Grofsh. hessischer
und Grofsh. sächsischer Geheimer Rath wurde. Eine grofse Zahl
hoher Ordensauszeichnungen endlich und die Theilnahme seiner fürst
lichen Gönner an den letzten dem Dähingeschiedenen erwiesenen
Ehren liefern den Beweis für das Ansehen und die Anerkennung, die
sich v. Ritgen auch an höchster Stelle in seinem langen, gesegneten
Leben erworben hat. —d.
F, Martins +. Am 29. Juli starb in Camenz in Schlesien der
Königl. prinzl. Hofbaudirector Ferdinand Martius nach fast
GOjähriger Berufsthätigkcit. Am 7. Juli 1811 in Leipzig geboren,
studirte der Verstorbene 1832—35 an der Berliner Bauschule, wurde
dann von Schinkel bei der Herausgabe seiner Entwürfe beschäftigt
und 1838, nach bestandener Staatsprüfung, für die Leitung des be
kannten grofsartigen Schlofsbaues von Camenz ausersehen. Nach
Schinkels Erkrankung fiel ihm der selbständige Fortbau der thurm
reichen Fürstenburg zu, den er nach und nach nicht unwesentlich
erweiterte und im Innern durchbildete. 1882 - 85 wurde auf Befehl
des Prinzen Albrccht von Preufsen am Fufse des Schlofeberges
nach Martius’ Entwürfen und unter seiner Oberleitung eine reich aus
gestattete gothische Kirche für die evangelische Gemeinde in Camenz
erbaut. Von den zahlreichen ferneren Bauten und Entwürfen des
Verstorbenen sind der Kursaal und das Rathhaus in Landeck, das
Bürgerhospital in Glatz und die Umbauten der Schlösser in Weigels
dorf und Neuland bei Löwenberg hervorzuheben. Martius war Ritter
des Rothen Adler-Ordens 3. Klasse m. d. Schleife, des Ordens Heinrichs
des Löwen, des Sächsisch-ernestinischen Hausordens und des luxem
burgischen Ordens der Eichenkrone.
Baurath E. Hilgers f. Am 26. Juli starb in Wiesbaden infolge
eines Schlaganfalles im Alter von 46 Jahren der Hülfsarbeiter bei
der Königl. Regierung, Königliche BauTath E. Hilgers. Der Ver
storbene war bei allen, die mit ihm in Berührung kamen, als tüchtiger,
gewissenhafter Beamter und lieber College geachtet und geschätzt.
Schriftstellerisch hat sich Hilgers bekannt gemacht durch sein Werk
„Bauunterhaltung in Haus und Hof“, welches auch über den
Kreis der Fachgenossen hinaus eine rasche Verbreitung gefunden
hat. In diesem Buche ist zum ersten Male der glückliche Gedanke
zur Durchführung gebracht, die einzelnen Bautheile als solche zu-
sammenzufassen und von der gewöhnlichen Art der Veranschlagung,
d. h. der Trennung der Arbeiten nach den einzelnen Gewerbzwcigen,
abzuweichen. Gerade hierdurch wurde das Werk für Kostenüber
schläge und für den Gebrauch von Seiten technisch nicht Gebildeter
sehr werthvoll und erreichte den Erfolg, dafs seit dem Jahre 1882
vier Auflagen gedruckt werden konnten. Eine neue, fünfte Auflage,
an der der Verstorbene bis kurz vor seinem Tode mit Fleifs und
Liebe arbeitete, ist bis auf den Druck fertig gestellt und wird eia
ehrendes Zeugnifs von seinem Streben und seiner Begabung ablegem
St.
Verlag von Ernst&Korn (Wilhelm Ernst), Berliu. Für die Redaction des nichtamtlichen Thciles verantwortlich i. V.: 0. Ilofsfeld, Berlin. Druck von J. Kerskes, Berlin