Themen Erschließung
396 Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 5
Zweitens. In der bibliothekarischen Literatur wird die Buchaufstellung traditionell
als Form der Sacherschließung begriffen.20 Dies hat historische Gründe, denn die
systematische Aufstellung ist in der Geschichte der Wissensorganisation die ers-
te Form der inhaltlichen Ordnung der Medien, lange vor der Erfindung des so-
genannten „Sachkatalogs“.21 Da heute aber die systematische Aufstellung in der
Regel über Systemstellen einer Klassifikation organisiert wird, lässt sich jede Ko-
ordinate im Raum der Bibliothek in eine solche Systemstelle „übersetzen“. Daher
ist es unnötig, den Aspekt der Aufstellung in einer zeitgemäßen Definition der
Sacherschließung gesondert zu berücksichtigen.
Drittens. Löst man sich einmal von der Vorstellung, dass ausschließlich eine be-
stimmte Form der bibliothekarischen Tätigkeit erst Sacherschließung erzeugt,
dann kommt man schnell auf die – ins andere Extrem verfallende – Idee, Medien
würden an vielen Orten, bei vielen Gelegenheiten inhaltlich erschlossen. Bei-
spielsweise gewähren im Radio gesendete Rezensionen Hörern Orientierung
über den Medieninhalt, ebenso wie Anzeigen in Zeitungen und Klappentexte
auf dem Buchumschlag. Systematisch betrachtet, handelt es sich bei diesen auf
ein bestimmtes Medium bezogenen Drumherum-Texten um „Paratexte“, wie der
französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette sie genannt hat.22 Es würde
deutlich zu weit führen, würde man die Klasse der Paratexte in ihrer Gesamtheit als
Erschließung betrachten, zumal sie keine rechte Grenze hat. Ihre Gemeinsamkeit
ist, dass Paratexte stets auf den Ausgangstext bezogen sind, zu dem sie Paratexte
sind. Auch Gespräche über ein Medium oder Bemerkungen darüber in einem Brief
zählen daher für Genette zur Klasse der Paratexte.23 Dieses letzte Beispiel macht
schon deutlich, dass als Erschließung nur zählen sollte, was auch als Erschließung
präsentiert wird, und das hängt davon ab, wo und in welcher Form etwas prä-
sentiert wird. Der bibliothekarische Ort solcher Präsentation ist stets der Katalog,
denn nur hier können Nutzer „mit thematischem Interesse“ gezielt nach Medien
suchen in der Hoffnung, auch gleich Zugang zum Medium zu erhalten. Inhaltsbe-
zogene Paratexte wirken daher nur dann als bibliothekarische Sacherschließung,
wenn sie als Kataloganreicherung Eingang in den Katalog gefunden haben.
Viertens. Die Definition scheint in der Festlegung auf das thematische Interesse
des Katalognutzers eine überflüssige Bestimmung zu enthalten. Schließlich ge-
währt beispielsweise das Element Schlagwortfolge eines Katalogeintrags Orien-
tierung über den Medieninhalt ganz unabhängig davon, mit welchem Suchinter-
esse der Katalogeintrag aufgerufen wurde. Sollte man daher die Definition nicht
schlanker formulieren, indem man auf diesen Passus verzichtet? Die Antwort ist:
20 Vgl. die in Fn. 7 zitierte Bemerkung bei Umlauf, Grundkurs.
21 Vgl. etwa Jochum, Uwe, Kleine Bibliotheksgeschichte. Stuttgart 1993, 136f.
22 Genette, Gérard, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt/Main 1989.
23 Ebd., 328ff., 354ff