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Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 3/4 187
bliothek. Bei seinem Amtsantritt setzte er es sich zum Ziel, die Bibliothek aus ihrer
langjährigen Stagnation zu befreien.
Kästner veranlasste die Arbeiten an einem Schlagwortkatalog für die neueren Be-
stände und ließ die Neukatalogisierung der alten Handschriften und Musikdru-
cke in Angriff nehmen. Er begann wieder Bücher zu kaufen – eine unter seinem
Vorgänger kaum gepflegte, aber doch recht sinnige Tätigkeit für eine Bibliothek.
Denn Kästner sah in der Herzog August Bibliothek nicht nur ein Buchmuseum,
sondern durchaus eine lebendige Sammlung. Freilich kaufte er in erster Linie Wer-
ke, in denen er die Kulturgeschichte der Zeit repräsentiert sah.
Zwei besondere Verdienste Kästners müssen gewürdigt werden. Er verstand die
Bibliothek als eine „bibliotheca illustris“, als Sammlung kostbarer und schöner Bü-
cher, die in der Moderne weiterzuentwickeln sei. So kaufte er bereits 1953 die ers-
ten Malerbücher und baute die Sammlung in den folgenden Jahren konsequent
aus. Freilich wurden die Mittel für den Ankauf dieser Malerbücher durch den
Verkauf Tausender sogenannter Dubletten alter Drucke beschafft. Was Buchhis-
toriker und Bibliothekare heute von dem Begriff Dublette halten, muss dem Leser
dieser Fachzeitschrift nicht erläutert werden – vom Thema Provenienz ganz zu
schweigen.
Kästners Verdienste um den inneren Ausbau der Bibliothek sind komplementär
zum Umbau der Bibliotheca Augusta zu sehen, mit dem er den heute vor 125
Jahren (1887) errichteten Bau in ein modernes, funktionsgerechtes Bibliotheksge-
bäude verwandeln wollte. Zugleich sollte die Idee der „bibliotheca illustris“ auch
architektonisch umgesetzt und der Typus der alten Saalbibliothek wieder herge-
stellt werden. Er erreichte nach jahrelangen Bemühungen, dass Anfang der 1960er
Jahre mit dem vollständigen inneren Umbau der Bibliothek begonnen werden
konnte, der erst 1972 nach seiner Pensionierung (1968) zum Abschluss kam.
Die Ideen, die dem Umbau zugrunde lagen, hat er selbst schriftlich skizziert. Die
alte wilhelminische Innenarchitektur sollte zwar nicht vollständig beseitigt wer-
den; es bestand durchaus die Absicht, sie weiterhin repräsentativ zu nutzen. Er
richtete dabei jedoch sein Hauptaugenmerk auf die Funktionalität des Gebäudes.
Dies hatte in der Innenarchitektur derartig radiale Veränderungen zur Folge, dass
die ursprüngliche Bibliothek zwar an einigen Stellen erkennbar blieb, der Gesamt-
umbau jedoch weit über das hinausging, was Kästner selbst als Motiv genannt
hatte, nämlich „den Wilhelminismus des Bauwerks zu schonen, ihm aber den
Prunk und die Rhetorik zu nehmen [...]“ Die Eingriffe veränderten den ursprüngli-
chen Zustand des Hauses auf eine Weise, die heute keine Denkmalschutzbehörde
mehr genehmigen würde.