Themen Bibliotheken
52 Bibliotheksdienst 45. Jg. (2011), H. 1
„Sie werden hier nur sehr lückenhaftes Material finden.“
Welche Lücken füllen Frauenbibliotheken?1
Karin Aleksander
Eigentlich sollte die Bibliothek des Vereins „Frauenwohl“ am 1. November 1896
eröffnet werden, ein Sonntag. Es wurde dann der 5. November, ein Donnerstag.
Und es war in der Mitte Berlins, im Victoria-Lyzeum in der Potsdamer Straße 39. Ich
würde jetzt zu gern dort sein, um Frau Professorin Westphal, Marie Lischnewska,
Luise Guttmann und die anderen Frauen der Bibliothekskommission mit meinen
Fragen zu bestürmen.
Mir geht es darum, am Beispiel dieser Bibliothek des Vereins „Frauenwohl“ drei
Gedanken etwas näher auszuführen, die alle noch etwas mit unserem Heute zu
tun haben:
- Es ging schon damals um die Frage „Wo bleiben die Sammlungen, wenn der
Verein geht?“.
- Es ging auch schon damals um die Frage Autonomie oder Institution.
- Und es ging damals wie heute um den Platz von Frauenfragen in Systemati-
ken und Normdateien.
Mit diesem Kompass im Kopf möchte ich Aussagen zum Thema gegenlesen oder
querlesen oder in Frage stellen. Vielleicht regt das weiter dazu an, aufzudecken,
wie und warum diese Bibliothek zustande kam, ob dieses Anliegen verwirklicht
wurde und was es für uns heute bedeutet.
Wenn wir heute über die Bibliothek des Vereins „Frauenwohl“ in Berlin reden, so
muss uns bewusst sein, dass wir über eine Bibliothek reden, die es gar nicht mehr
gibt – und die es doch gibt! Das ist paradox – ein Widerspruch in sich. Für mich
etwas Magisches. Seien Sie gespannt auf das Ende, wenn ich versuche, dieses
Paradoxon aufzulösen… Was mich besonders fasziniert hat, als ich das Angebot
bekam, über diese Frauenbibliothek nachzudenken, war der Hintergedanke: Was
haben die Frauen damals eigentlich getan und gewollt, was haben sie für ihre Zeit
erreicht oder auch nicht und: Ist das heute noch aktuell? Werde ich überhaupt
Material für meine Fragen finden?
Das erste, was ich (wieder)las, war der Aufruf zur Gründung der Bibliothek zur
Frauenfrage von Marie Lischnewska. Dort begründet sie als Ziel der Frauenbiblio-
thek: Wir müssen „die reiche, einheimische Literatur“ und die „Fülle von Schriften“
aus dem Ausland, die die „mächtig anwachsende Bewegung erzeugt“ sammeln,
1 Dieser Text basiert auf dem Festvortrag zur Eröffnung der Ausstellung „… was dem
Fortschritt dient und dem Ganzen frommt“ in den Historischen Sammlungen der
Zentral- und Landesbibliothek Berlin am 29.11.2010.