Themen Digitale Bibliothek
434 Bibliotheksdienst 44. Jg. (2010), H. 5
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Die Bibliografie als ein Ort kulturellen Gedächtnisses
am Beispiel der DaSinD online1
Marion Schulz
Die Bibliographie ist eine [Hilfswissenschaft]. Und zwar steigt deren Wich-
tigkeit mit dem Steigen der Buchproduktion. Nun gibt es Weniges, was für
die kritische Lage der Wissenschaft so durchaus charakteristisch ist wie der
Umstand, daß dieser steigenden Wichtigkeit ihre sinkende Beachtung seit
Jahren parallel geht. […] Die Bibliographie ist sicher nicht der geistige Teil
einer Wissenschaft. Jedoch sie spielt in ihrer Physiologie eine zentrale Rolle,
ist nicht ihr Nervengeflecht, aber das System ihrer Gefäße. Mit Bibliographie
ist die Wissenschaft groß geworden, und eines Tages wird sich zeigen, daß
sogar ihre heutige Krisis bibliographischer Art ist.2
So räsoniert Walter Benjamin bereits 1928 über die steigende Buchproduktion
und die Relevanz der Bibliografie für die Forschung. Seine Sätze haben – erstaun-
licher Weise – nichts an Aktualität eingebüßt. Auch heute, rund 80 Jahre später,
in Zeiten elektronischer Kataloge drängt sich die Frage auf, wie bewältigen wir
die Flut der literarischen Veröffentlichungen? Angesichts der dramatischen Verän-
derungen im Bereich von Druck- und Vervielfältigungsverfahren, der nahezu un-
endlichen Möglichkeiten, Texte zu publizieren und der Selbstverständlichkeit, mit
der Menschen ihre literarischen Manuskripte inzwischen veröffentlichen, könnten
Bibliothekare resignieren. Der Masse der gegenwärtigen Medienproduktion Herr
zu werden, ist eine Herausforderung für alle, die sich mit Fragen der Katalogisie-
rung befassen. Der zeitnahe und benutzerfreundliche Nachweis der Medien in Bi-
bliothekskatalogen ist nur noch durch enge Kooperationen und neue technische
Möglichkeiten zu meistern. Heute können wir zu jeder Zeit und von nahezu jedem
Ort auf die Kataloge der großen wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken
zugreifen. Der Gang in die Bibliothek kommt inzwischen an zweiter Stelle.
1 DaSinD online, der bibliografische Index der Datenbank Schriftstellerinnen in Deutsch-
land 1945 ff., steht seit 2007 im Internet. Die bibliografischen Daten der Werke werden
ergänzt mit Namensformen, Geburts- und Sterbedaten, Fotos und Foto-
nachweisen zu Schriftstellerinnen: http://dasind.zait.uni-bremen.de/recherche.
2 Walter Benjamin über den „Wert des Bibliographierens“ im Briefwechsel mit Richard
Peters 1928. In: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von
Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann
Schweppenhäuser. – Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bd. 3: [Kritiken und Rezensionen] /
hrsg. von Hella Tiedemann-Bartels. 6. Tsd. 1981. S. 120–122, hier S. 121. Das Zitat beginnt
im Original folgendermaßen: Übersetzen von dieser Seite gesehen, ist eine philologische
Technik, die ihre Hilfswissenschaften hat. Die Bibliographie ist eine von ihnen.