Themen Digitale Bibliothek
578 Bibliotheksdienst 40. Jg. (2006), H. 5
Jürgen Renn, Max Planck Institut für die Geschichte der Wissenschaft, gab einen
visionären und atemberaubenden Ausblick in die Zukunft des wissenschaftlichen
Kommunikationswesens. Er beklagte das ungenutzte Potential der neuen Medi-
en und sah die Lösung in Open Access als Teil der Openness-Bewegung, die er
als „Paradigm Shift of Science“ ansah. Vorteile von frei zugänglichen Forschungs-
ergebnissen wären a) Möglichkeiten der Indexierung und Aufbereitung via Text
Mining, b) Vorlage und Vergleich der Rohdaten und c) Interaktivität und Reprodu-
zierbarkeit der Ergebnisse. Die durch die neuen Medien möglich gewordene „Glo-
bal Connectivity of Knowledge“ (Stichwort: the Self-organizing Web) würde die
Wissenszunahme eminent beschleunigen. Der Prozess ist nicht technology-driven,
sondern user-needs-driven. Was wird in einer solchen Zukunft aus den Verlegern?
– „Confrontation or Collaboration“, je nachdem ob die Verleger Teil des Problems
(Toll Access) oder Teil der Lösung (Open Access) sind.
Derk Haank, Vorstand Springer Verlag und Ex-Vorstand Elsevier Science, sah zu-
frieden auf die “Transition from print to electronic” zurück. Dieser Übergang sei
bei den Zeitschriften nach nun 10 Jahren komplett vollzogen. Nun kämen die
Bücher an die Reihe. Für die Zukunft sagte er ein Angebotsmix aus Verlagsdaten-
banken und privaten/institutionellen Repositories voraus. Mit letzteren hätte er
keine Probleme, selbst wenn alle publizierten Artikel dort enthalten sein würden.
Diese friedliche Koexistenz gelte aber nur, solange die Repositories keine kom-
merziellen Absichten hätten. „Can see no harm in that“. Schlussendlich wurde von
ihm noch die europäische Mehrwertsteuer kritisiert. Sie verhindere die größere
Verbreitung rein elektronischer Subskriptionen. Diese hätten in Europa im Gegen-
satz zu anderen Ländern nur einen Marktanteil von 1/3 aller Abonnements.
David Hoole, Nature Publishing Group, brachte mit „The Changing Geography
of an Industry and a Debate“ einen kurzen Abriss der Geschichte des Publikati-
onswesens, schön tabellarisch sortiert nach USA und Europa. Obwohl intensiv
mit IT-Lösungen, Hard- und Software beschäftigt, wäre der Internetcrash an den
Verlagen nahezu spurlos vorüber gegangen. Zum Schluss präsentierte er eine
SWOT-Analyse8 des Verlagswesens mit den Schwächen profit-imperative, poor PR,
moving slow, und den Bedrohungen: national access & archiving, disruptive business
models, disintermediation.
Der frühere Vorsitzende des Publications Committee der Federation of Europe-
an Biochemical Societies9 (FEBS), Willy Stalmans, legte dann in „Publishing Cons-
traints experienced by a large European Scientific Society“ konkrete Fakten auf
den Tisch. 99% ihrer gesamten Einnahmen in Höhe von 3,5 Mio. € erzielte die
FEBS durch die Publikation ihrer beiden Zeitschriften FEBS Journal (Blackwell) und
FEBS Letters (Elsevier). Diese Summe schüttet die FEBS an ihre 40.000 Mitglieder
8 Strenghts – Weaknesses – Opportunities – Threats
9 http://www.febs.org/