Themen Altes Buch
304 Bibliotheksdienst 40. Jg. (2006), H. 3
oder die Provenienzen herauszufinden sind. Festzustellen, dass es NS-Raubgut
im Bestand gibt, kann jedoch kein Selbstzweck sein. Es muss sich die Recherche
nach dem Schicksal der Eigentümer bzw. deren Erben anschließen und das Ziel
der Rückgabe nicht aus den Augen verloren werden. Doch sechzig Jahre nach
Kriegsende ist dies sehr schwierig. Außerdem kann man gerade bei privatem Ei-
gentum nicht davon ausgehen, dass es in jedem Fall Besitzeinträge gab. Somit
werden nie alle Raubgutbestände zu erkennen und herauszufinden sein. Aber
dort, wo eine Identifizierung von Eigentümern möglich ist, dürfen nicht die Au-
gen verschlossen werden. Somit ist auch schon während des Projektes begonnen
worden, das Schicksal einiger Eigentümer zu recherchieren. Für Bestände des so-
zialdemokratischen und gewerkschaftlichen Umfeldes wurde eine Vereinbarung
mit der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Rückgabe geschlossen. Für die Bücher
mit Besitzeinträgen jüdischer Institutionen und Privatpersonen ist die Zusam-
menarbeit mit anderen Einrichtungen wie dem Berliner Landesarchiv und dem
„Centrum Judaicum“ sowie Wissenschaftlern, die schon wesentliche Erkenntnisse
bei den Fragen des NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes gewonnen
haben, wichtig.
Doch nicht nur Bücher verdienen die Aufmerksamkeit. Bei den Autographen muss
geprüft werden, ob die vom damaligen Bibliotheksdirektor erworbenen Auto-
graphen aus dem „Liepmannsohnschen Lager“ zu identifizieren sind, denn hin-
ter diesem Zugang verbergen sich noch offene Fragen. Leo Liepmannsohn hatte
1874 in Berlin ein bedeutendes Antiquariat aufgebaut, dieses 1903 an Otto Haas
abgegeben, der das Antiquariat unter Liepmannssohns Namen weiterführte.
Haas musste Deutschland verlassen und vorher das Antiquariat verkaufen, u.a.
an das heute noch in Berlin ansässige renommierte Unternehmen Stargardt; es
darf dabei wie in so vielen ähnlichen Fällen keineswegs von einem „freiwilligen“
Verkauf ausgegangen werden. Da Autographen jedoch in den seltensten Fällen
Besitzeinträge aufweisen, ist diese Untersuchung mit einer nahezu unlösbaren
Aufgabe verbunden.
Für die Zukunft ist geplant, ein Nachfolgeprojekt zu initiieren. Auch gibt es Ange-
bote von freiwillig Tätigen, sich mit diesen mühevollen Recherchen beschäftigen
zu wollen. Beim Hannoveraner Symposium im Mai 2005 wurde das Projekt vorge-
stellt und im Tagungsband publiziert.1
Wichtig ist jedoch auch eine allgemeine Sensibilisierung im Haus. Im Rahmen
anderer Tätigkeiten in der Bibliothek kommen div. Kollegen (Fachlektoren, Buch-
binder, Magaziner usw.) mit älteren Beständen in Berührung. Daher wurde haus-
intern geschult und eine Anweisung erarbeitet, in den Fällen, in denen Besitz-
1 Vgl. Unrechtmäßiger Buchbesitz in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. In:
Jüdischer Buchbesitz als Raubgut. Zweites Hannoversches Symposium. Hrsg. v. Regine
Dehnel. Frankfurt/Main 2005, S. 305-320 (ZfBB-Sonderheft 88).