Politik THEMEN
Podiumsdiskussion: Wie gehen Bibliotheken heute mit dem Thema
Bücherraub/Restitution in der Öffentlichkeit um?
Moderiert von der Direktorin der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, Clau-
dia Lux, diskutierten der Bibliothekar Jürgen Babendreier (SuUB Bremen), der
Journalist Jörg-Dieter Kogel (Radio Bremen, Programmleiter NordwestRadio)
und der Richter Olaf Werner (OLG und Jura-Prof., Universität Jena) mit dem
Publikum. Ihre Statements:
Babendreier thematisierte die schon mehrfach angerissene Frage: Warum
machen wir uns überhaupt diese aufwändige Mühe, Raubgut zu suchen und
dann auch noch zu restituieren? Das Phänomen der ,Bücherwanderungen' ist
im bibliothekshistorischen Alltag ein normaler Vorgang. Es wäre doch einfach,
alles in Folge des Nationalsozialismus Entzogene unter diesen vertrauten Be-
griff zu subsumieren oder das Thema in die allgemeine Provenienzforschung
einzubetten. ABER: Jeder NS-Bücherraub, zumal an Juden, ist nicht ohne die
Metapher ,Auschwitz' zu denken. Das Grenzereignis, das factum brutum
Auschwitz ist in jedes einzelne geraubte Buch eingeschrieben. Wir jeder von
uns trägst seinen Teil des historischen Erbes, an der professionell, arbeits-
teilig, systematisch und industriell perfektionierten Vernichtung der Juden.
Vier Phänomene sind zu beobachten: 1. Anonymisierung der Täter: Es wird
von Institutionen gesprochen, nicht von Menschen. Wir sagen ,,Was tun Bib-
liotheken?" Anstatt zu formulieren: ,,Was tun Bibliothekare?" 2. Entkonkretisie-
rung der Opfer: Wir erklären Bücher zu einem Massenmedium, dem in der
Regel der Unikatcharakter fehle und verstecken damit die geraubten Bücher
in der Menge. Wir vermeiden die individuelle Begegnung. 3. Beschweigen ist
auch ein weiteres Phänomen: zu suchen und nicht darüber zu informieren. 4.
Historisierung: Wir beschreiben, historisieren, aber wir belassen es dabei. Wir
wünschen, dass mit dem einmal abgegebenen Bericht dieses Kapitel abge-
schlossen sei. Wir suchen nicht nach den Eigentümern, und wir restituieren
nicht. Wir verweigern uns der Erinnerung. Dagegen: Restitution ist eine Geste,
ein ritueller Akt der Erinnerung und der Konfrontation mit der eigenen Ge-
schichte!
Nur eine Minderheit der betroffenen Bibliotheken (ca. 16%) recherchiert über-
haupt nach Raubgut, nur die Hälfte davon restituiert. Über die Restitution in
Bremen ist in der Presse ausführlich berichtet worden, die SuUB Bremen
selbst hat jedoch nur eine einzige Seite im BIBLIOTHEKSDIENST veröffentlichen
mögen.
Die ,,Handreichung" zeichnet sich durch eine Sprache aus, die mit Begriffen
entpersönlicht (die Museen, die Bibliotheken) anstelle die Verantwortung von
Menschen anzuerkennen (der Museumsdirektor, die Bibliothekare). Das ist
juristische Dehumanisierung.
BIBLIOTHEKSDIENST 37. Jg. (2003), H. 10 1295