THEMEN Bibliotheken
dass das Angebot an Punktschriftliteratur zu gering ist, vor allem der Mangel
an wissenschaftlicher Literatur wird beklagt.
Eine wichtige Informationsquelle - selbstverständlich auch für blinde Men-
schen - sind aktuelle Zeitungen und Zeitschriften. In der Deutschen Blinden-
bibliothek in Marburg werden 28 laufend gehaltene Zeitschriften in Punktschrift
angeboten, in der Hamburger Blindenbibliothek sind es sieben. Diese Zahlen
werden interessant und aussagekräftig durch den Vergleich mit der Zahl der in
Deutschland jährlich erscheinenden Publikationen: ca. 60.000 - 70.000 Buchti-
tel und allein ca. 3.500 Fachzeitschriften.
Benutzungszahlen aus der Deutschen Zentralbibliothek für Blinde zu Leipzig
und der Stiftung Zentralbibliothek für Blinde in Hamburg mögen als Beispiele
den Bedarf an blindengerechter Literatur belegen: Die jährlichen Ausleihen in
Leipzig belaufen sich auf ca. 100.000 einschließlich Hörbücher, das sind pro
Monat rund 8.330 Entleihungen; in Hamburg werden jährlich von rund 700
,,festen" Benutzern ca. 15.000 Bände ausgeliehen, wobei allerdings zu be-
rücksichtigen ist, dass nur ca. 15.500 blinde Menschen die Braille-Schrift le-
sen können, worauf wir weiter unten noch einmal zu sprechen kommen.
Wenn sich ein Blinder zur Benutzung einer ,,normalen" Bibliothek entschließt,
dann ergeben sich für ihn natürlich einige grundsätzliche Fragen. Zunächst
einmal wird er sich um eine Begleitperson bemühen müssen, die ihm mindes-
tens auf dem Weg in die Bibliothek behilflich ist, in der Regel aber auch als
Vorleser dient. Dann wird er fragen, ob es blindengerecht aufbereitete Litera-
tur gibt. Und noch wichtiger ist es für ihn, ob es blindengerechte Arbeitsplätze
gibt, die ihm ein weitgehend selbstständiges Arbeiten ermöglichen.
Eine Umfrage unter den deutschen Bibliotheken ergab, dass der Wunsch Blin-
der, ,,reguläre" Bibliotheken zu benutzen, überhaupt nicht zu Buche schlägt.
Diese Auskunft lässt jedoch nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass die Ein-
richtung von blindengerechten Arbeitsplätzen und die Beschaffung von
Punktschriftliteratur dort nicht erforderlich sei. Zwar ist eine Bibliothek kein
Geschäftsbetrieb, in dem Angebot und Nachfrage sich gegenseitig regeln, a-
ber das im Rahmen der Umfrage immer wieder geltend gemachte Argument,
es gebe in dieser oder jener Bibliothek keine Blindenarbeitsplätze, weil keine
Nachfrage danach bestehe, bedarf dringend der Umkehrung: Die Bibliotheken
sollten sich entschließen, die Nachfrage durch das Angebot zu regeln, ein
Verfahren, das im Geschäftsleben nachweislich zum Erfolg führt. Zwar wird
das in diesem Fall keinen materiellen Gewinn bringen. Vielmehr werden er-
hebliche zusätzliche finanzielle Mittel und persönliche Einsatzbereitschaft von
Bibliotheksmitarbeitern erforderlich sein, aber - kurz gesagt - ein solcher Akt
der Menschlichkeit wäre unserer christlich-humanistisch geprägten Kultur an-
gemessen.
846 BIBLIOTHEKSDIENST 35. Jg. (2001), H. 7/8