Ausland ______________________________ THEMEN
bekanntgewordenen Standorten deutscher Buchbestände sich auch Lübecker
Bücher befinden, beispielsweise in Tomsk (Sibirien).
Wenn der frühere Außenminister der UdSSR und Verhandlungsführer beim
deutschen Vereinigungswerk, jetzt aber Präsident der unabhängigen Republik
Georgien, Schewardnadse entschied, die deutschen Bücher Deutschland
ohne Auflagen zurückzugeben, so handelt es sich um eine noble Geste. Denn
es wurden zwar Gegengaben und Hilfslieferungen nach Georgien gesandt,
aber auf freiwilliger Basis. Nichts wurde gegengerechnet oder aufgerechnet,
insbesondere wurden auch keine irrwitzigen ,,Lagerungs- und Begutach-
tungskosten" in Rechnung gestellt, wie das Duma-Gesetz etwa vorschreibt,
sofern überhaupt etwas zurückgegeben würde. Angesichts der verhärteten
russischen Haltung kann daher Georgiens Verhalten nicht anders als großzü-
gig genannt werden, vor allem, wenn man das seitens des ,,Dritten Reiches"
begangene Unrecht bedenkt.
Viele Bücher und Handschriften, die jetzt zurückgelangten, sind in einem be-
klagenswerten Zustand. Umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen sind not-
wendig, da diese Bücher lange Zeit ungünstig gelagert und oft transportiert
wurden. Die Lagerung in Georgien, wo sie kaum bis gar nicht benutzt wurden,
war ebenfalls schlecht. 50 Jahre in dieser Situation sind für Bücher schädlich.
Mechanische Schäden, Schimmel und Feuchtigkeit, Mäuse- und Rattenfraß
haben ihre Spuren hinterlassen. Daher werden auch einige Stücke nicht mehr
verwendbar gemacht werden können. Eine in der Stadtbibliothek gezeigte
Informationsausstellung zeigte deutlich, wie sinnlos es grundsätzlich ist, Be-
stände, die ihren engen Bezug zu einer Stadt oder Region haben, an Orten
einzubehalten, die dazu keinen Bezug haben oder wo weder die Schriften
noch die Sprache beherrscht werden, um sie sinnvoll zu benutzen. Unglück-
lich wird auch immer wieder bewußt, wie mißverständlich der Begriff ,,Beute-
kunst" ist. Es geht um (mindestens) 2 Millionen Bücher, die teilweise schlecht
gelagert sind und zum Teil auch gar nicht benutzt werden, es handelt sich um
Archivbestände zur genuin deutschen Geschichte - und nur zu einem gerin-
gen Teil um wertvolle Kunstwerke, von denen viele in der Tat in jedem großen
Museum der Welt hängen könnten, eben auch in Rußland. Diese Vermischung
von nicht Vergleichbarem bedrückt vor allem Bibliothekare und Archivare.
Doch konnten sich deren Fachkommissionen bei der Regierungskommission
und den politischen Führern und Gremien bisher kein Gehör verschaffen.
Über ein gewisses wohlwollendes Interesse bei der Duma kamen die Biblio-
thekare nicht hinaus, und die Gesetzgebungsverfahren hat das nicht beein-
flußt. Es bleibt eine Frage an die deutsche Außenpolitik, ob sie darüber hin-
wegsehen will und kann, daß im ,,Vertrag über gute Nachbarschaft, Partner-
schaft und Zusammenarbeit" vom 9.11.1990 und im ,,Deutsch-russischen
Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit" vom November 1992 die Rück-
BlBUOTHEKSDIENST 31. Jg. (1997), H. 8 1 9
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