25 Landrat, nachherige Oberpräsident von Kleist-Retzow*) befand sich mit mir in einer Abteilung und widersprach meiner Behauptung, daß wir nicht lange bei— sammen bleiben, sondern bald aufgelöst werden würden; später trat er mir bei, weil es an einer Majorität fehle. Ich erwiderte, sie sei wohl durch einen Ministerwechsel herbeizuführen, aber keine solche Majorität, welche die Verfassung in seinem Sinne revidire. Zu derselben Abteilung gehörte auch der Abgeordnete von Bismarck— Schönhausen. Derselbe machte auf mich einen sehr günstigen Eindruck, so ent— gegengesetzt auch unser politischer Standpunkt war. Sein frisches Wesen, seine treffenden, originellen Bemerkungen und seine Mitteilsamkeit zogen mich an. Es sprach sich sehr gut mit ihm, auch wich er von der gewöhnlichen Schablone der Reaktionäre bedeutend ab. So unter anderem leugnete er gar nicht, daß er ein Junker sei, sondern äußerte gerade heraus zu mir: „Ich bin ein Junker und will auch Vorteile davon haben.“ Ich glaubte ihn richtig zu verstehen, daß er nicht sowohl pekuniäre Vorteile als solche der Stellung und des Ein— flusses meine. Deshalb antwortete ich ihm: „Dann ist mit Ihnen zu reden und zu verhandeln. Mit den Herren von der Rechten, welche immer das Staatswohl im Munde führen und die ganz Uneigennützigen spielen, ist kaum zu sprechen.“ In den Abteilungen saßen, wie im Hause, die Abgeordneten nach Frak— tionen geordnet. Bismarck aber nahm seinen Platz in der Abteilung in der Regel bei der Opposition, mir gerade gegenüber. Wir waren inzwischen be— kannt genug geworden, um ihn zu fragen, was uns die Ehre verschaffe, ihn auf unserem Flügel zu sehen. Daß er nicht horchen wolle, verstände sich von selbst; einmal gäb' es nichts zum Horchen und dann liege das auch sicher nicht in seiner Absicht. Bismarck erwiderte lachend: „O, das ist ganz einfach! Drüben bei meinen Freunden ist es sehr langweilig; hier amüsire ich mich besser.“ *x) Auch in der Restauration sprach Bismarck oft mit Abgeordneten von der Opposition, speziell von der äußersten Linken.***x) Von einem solchen wurde ihm eine ähnliche Frage vorgelegt wie von mir in der Abteilung, wie es komme, daß er so viel mit der Linken verkehre? Bismarck antwortete sofort: „Warum soll ich mit ihnen nicht reden, sie gehen mir doch nicht aus dem Wege und fürchten nicht, durch ihre Unterhaltungen mit mir ihren politischen *) Veral. Wiermann, Der deutsche Reiche“ag, seine Porteien »ud Größen, Bd. II. S. I88 - 4 **) Nach L. D. G. Temme, Erinnerungen S. 490, sagte Bismarck, auf das Ende des Tisches, das er verlassen hatte, deutend: „Diese sind mir doch gar zu dumm.“ ***) Ein Gespräch Bismarcks mit dem zur Linken zählenden Abgeordneten L. Bucher findet sich abgedruckt in meinem Werke: Ein Achtundvierziger. L. Buchers Leben und Werke, Berlin.